Fremdkörper
es geht. Ein paar Wochen, dann war es das mit Haaren, und zwar für die nächsten Monate.
Ich denke jetzt allerdings erst einmal an den nächsten Montag. Meine wöchentliche Sendung in Köln. Da kann ich nicht auf einmal mit Bubikopf auftauchen. Das verwirrt meinen Arbeitgeber und das Publikum gleichermaßen. Der Plan ist bereits gefasst: Ich brauche eine Perücke.
Zweithaar-Studios, wie die Profis ihre Perückenparadiese taufen, gibt es viele in der Hauptstadt. Ich habe mir eine kleine Liste gemacht mit einer Handvoll Adressen. Um Preise und Qualität zu vergleichen. Wie sich zeigen sollte, keine so verkehrte Idee. Denn zwischen den Angeboten gibt es kontinentalplattenweite Unterschiede. Nach den ersten beiden Besuchen in Oasen kopfbehaarter Glückseligkeit werden mir zwei Dinge schnell klar: Echthaar soll es sein. Und: Billig wird es nicht. Ich betrete die Ausstellungsräume einer sehr bekannten Perückenverkäuferin. Eine, die ihre Prospekte stapelweise auf den onkologischen Stationen und der Chemotherapie-Ambulanz liegen lässt. Die bei Google mit ihrem Eintrag recht weit oben auftaucht. Also augenscheinlich eine Madame Wichtig in der Szene. Die sich zu meinem großen Bedauern dementsprechend verhält. Zur Begrüßung, ohne Handschlag, rauscht sie erst einmal an mir vorbei: »Hallo, hallo. Jehn Se schon mal in dit Zimmer da hinten. Ick bin jleich da.« Gleich wird weltweit unterschiedlich definiert. Aber 35 Minuten Wartezeit sind höchstens in Relation zur Entwicklungszeit des Homo sapiens sapiens gleich. Bevor gleich, und zwar echtes gleich, mein Geduldsfaden reißt und ich Dinge von mir gebe, für die ich mich später entschuldigen müsste, beschließe ich zu gehen. Da kommt sie dann endlich.
»Wat darf et denn sein?« – »Ihnen auch einen Guten Tag. Ich hätte gerne eine Echthaar-Perücke. Aber mit langem Haar. Möglichst meine jetzige Haarfarbe.« – »Ja. Ick hätte da dit Modell Raquel Welch. Dit is janz schön mit die Strähnchen. Oder hier die Veronika-Serie, mit Stufenschnitt ...« Sie holt eine Perücke nach der anderen von den Styroporköpfen, die in den raumhohen Regalen nebeneinanderstehen. Dann stülpt sie mir die Netze, an denen das Haar befestigt ist, über. Zieht hier ein bisschen, rupft und zupft mir mit ihren hektischen Händen unmögliche Frisuren ins Gesicht. Zur Aerobicstunde mit einem Gymnastikanzug, der einen Beinausschnitt hat bis unter die Achseln, sähe ich super aus. Im Jahr 1988. Außerdem tun die Perücken weh. Die sind zu eng. »Se ham aber och’n dicken Kopp,« sagt sie, als sie auf ihr Maßband blickt. Sensibles Geschick und höfliche Umgangsformen werden überbewertet, denke ich. Mache mir wirklich nur sehr kurz Gedanken, ob ich tatsächlich einen großen Kopf habe, erinnere mich an die Vorgänger-Geschäfte, die alle passendes Material vorhalten konnten, und versuche es versöhnlicher: »Wir messen ja jetzt mit Haaren. Davon habe ich viele und dann auch noch dicke. Die sind aber bald weg. Muss man da nicht ein bisschen was abziehen?« – »Nee, dit gloob ick nich. Ihr Kopp is eenfach zu dick für dit hier.« – »Es gibt kein Modell für mich?« – »Se können dit hier mit so welchen versuch’n. Drückt halt ’n bisschen nach ’ner Weile. Aber für’n paar Stunden wird dit schon jehn.« – »Was kosten die denn?« – »Die jünstigen um die 1500 Euro.« O. k. Es gibt definitiv kein Modell für mich. Die Frage nach dem Preis und mein fassungsloses Gesicht haben bei der Dame eine Schranke gehoben, freie Fahrt für ihre Verkaufstirade: »Ick hab schon so jute Preise. Se glooben jar nich, wat et allet ... Qualität kostet, dit kriejen Se nirjendwo billija. Denn müssen Se halt janz ohne rumlaufen. Wollen Se dit? Wissen Se, wie dit aussieht, janz ohne Haare? Nich jut, sach ick Ihnen.« Jeder Elefant hat in seinem linken Vorderfuß mehr Feingefühl als dieser Poltergeist. Sie mag der Perücken-Platzhirsch sein. Ich halte sie maximal für eine Hirschkuh. Und zwar eine ziemlich blöde.
Ihr beziehungsweise meiner Wut über sie werde ich heute Abend einige Kilometer auf dem Sitzrad widmen. Einigermaßen angeschossen ergreife ich die Flucht. Freiwild mit Streifschuss.
Balsam für meine Wunden erhalte ich bei der letzten Adresse des Tages am Kurfürstendamm. Das Ladenlokal ist ein bisschen unaufgeräumt. Perücken liegen in offenen Kartons auf dem Tisch und den Ablageflächen. Auf dem Boden zusammengekehrte Haarspitzen von einem Modell, was vermutlich bis eben einen neuen
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