Fremdkörper
Auftritts. Das bringt mich etwas unvermittelt zu, ja, Brustgedanken. Wie alle Frauen, aber nur die wenigsten Männer wissen, nehmen natürlich auch wir gerne das »Holz vor der Hütt’n« der anderen ins Visier und ins Zentrum unseres nächsten kommunikativen Austausches. Beobachtet wird immer. Nicht nur beim Kennenlernen, genauso auf der Party, im Schwimmbad oder in der Sauna. Selbst bei der langjährigen Freundin. Überall da, wo auch den Herren die Linse Richtung Dekolleté rutscht. Wir verbergen es oftmals nur ein wenig geschickter, als der testosterongesteuerte Teil unter den Betrachtern. Bei der weiblichen Bongo-Analyse geht es ganz banal um Vergleich, Bewunderung oder – ja, wir sind so – eben Stoffsammlung für kleine Lästerrunden unter Mädchen. Ich verleugne an dieser Stelle nicht, nicht auch schon einmal im intimen Weiber-Kreis Form, Größe und Inhalt der Brust einer nicht Anwesenden diskutiert zu haben. Zu meiner Ehrenrettung sei nur gesagt, dass die Abwesende nie Bekannte oder gar Freundin war. Hin und wieder münden solche Gespräche in Schmähungen: »Das sind doch nur Kichererbsen.« – »Kuhglocken.« – »Plastikhupen.« – »Die hat Nippel zum Löcherstopfen.« – »Die gucken nach unten.«
Das ist allesamt nicht sonderlich freundlich, ich weiß. Aber was ich, mittlerweile im Übrigen ordentlich hechelnd und schwitzend beim vierten Kilometer, die ganze Zeit versuche zu definieren, das ist das Schönheitsideal, demzufolge die studierten Brüste kichererbsig oder tief baumelnd waren. Es ist das Ideal, was man aus Hochglanz- oder verklebten Magazinen, dem Fernsehen oder Kino kennt. Obwohl jeder weiß: An Fotos wird so lange digital rumgeschraubt, bis alles so aussieht, wie es sich ein mal mehr, mal weniger durchgeknallter Art Director ausgemalt hat. Im Film wird die Hollywoodschönheit in der Nacktszene von einem Körperdouble ersetzt, wenn der Busen nicht pornöses oder wenigstens formidables Format hat. In der offiziellen Verlautbarung heißt es dann, man sei dem ureigenen Wunsch der Diva gefolgt. Bitte nicht zu viel Freizügigkeit für Madame La Prüde.
Erfreulicherweise habe ich vor ein paar Monaten einen Film mit Penelope Cruz gesehen, der durch ihr Vorbild eine Trendwende einleiten könnte. Denn Frau Cruz zeigt sich entblößt und offenbart einen ganz und gar nicht hollywoodesquen Busen. Recht große Brustwarzen (»so No-go in L.A.«), nicht sonderlich groß (cute!), und deswegen so schön. Kein Doppel D. Und auch keine schräg nach oben-vorne operierten Dackelschnäuzchen. Auch Franka Potente hat mal Mut bewiesen zu ehrlichen Möpsen sozusagen, vor Jahren schon. Nur hat es keiner so richtig bemerkt. Es hätte damals schon der Beginn einer neuen Busen-Ära sein können. Wäre doch toll, wenn auch die anderen verehrten Leinwandheldinnen im Falle eines Oben-ohne-Falls echt blieben. Und uns, allen andern 99,9 Prozent der Frauen dieser Welt, das Echtsein dadurch erleichtern würden. Nicht falsch verstehen. Ich will mich hier nicht zur Jeanne d’Arc der Hängetitten aufspielen. Aber ein bisschen mehr Gnade mit den Gazongas der Mitbewerberin genauso wie vor allem mit sich selbst täte nicht schlecht. Denn am Ende, feministische Freundinnen, ist doch schön, was gesund ist. Wenn mir vorher jemand die Wahl gelassen hätte: »Hey, entweder die eine wird krank und muss operiert werden oder du bekommst eine andere, die der Schwerkraft schon ein paar Zentimeter nachgegeben hat – welche nimmst du?« Weiß Gott und ihr alle auch, ich hätte die gesunde gewählt. Sagt jetzt jemand: »Ich auch. Und dann lass ich sie straffen«? Ganz schön versaut sind wir mittlerweile. Schönheitsidealversaut. Schön ist, was gesund ist. Ich mache drei Sternchen im Fleißbuch für Moralapostel. Und dann meinen Frieden mit mir. Wird auch Zeit. Meine Laufstunde ist um.
Im Umkleideraum stehe ich vor einem neuen Problem. Jetzt habe ich mir doch tatsächlich eine geschlagene Stunde den Kopf darüber zerbrochen, was eine schöne Oberweite ausmacht und was nicht – und jetzt das. Ich sitze etwas ratlos auf dem Bänkchen vor meinem Spind und frage mich, wie ich das Problemchen mit der Gemeinschaftsdusche jetzt am schlauesten löse. Neben all den anderen Mädchen. Ich habe überhaupt kein Problem mit nackig sein. Erst recht nicht, wenn ich lauter Frauen um mich herum habe. Aber diese Situation ist besonders. Die unsichtbaren und die – für diesen Moment bedeutsamen – sichtbaren Narben sind noch zu frisch. Ich
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