Fremdkörper
Leben mal gemacht haben sollte? Ich weiß es nicht. Und verschiebe die Entscheidung über einen Meckerbrief auf später. Wenn mein Temperament aus der Sahara-Zone raus ist. Hoffentlich hat der bloß nicht so viele Patientinnen in seiner Sprechstunde. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie so jemand Frauen, die von Haus aus mit weniger Selbstwertgefühl und mehr Professorendemut ausgestattet sind, reihenweise seelisch misshandelt.
Als ich den Umschlag mit seiner Therapieanweisung bekomme und lese, was da steht, kann ich nicht anders, als bitter zu lachen und ein höhnisches Grunzen von mir zu geben. Es ist exakt das Schema, das ich von Dr. Lauckmann schon kenne. Ein Medikations- und Dosierungsmuster, das in einer größeren Ärztekonferenz (ob der Herr Professor da auch dabei war?) für mich zusammengestellt wurde. Ist mir dementsprechend nicht neu. Ich ziehe auf dem Heimweg mein Fazit. Dieses Ärgernis von Stippvisite hat mir tatsächlich nur eins gebracht: Wut.
20.
Muckibuden-Meditation
Gegen Wut im Bauch hilft Blut in die Muskeln zu pumpen. Sport. Entdeckt habe ich die Wirkung der Reaktionskette von Krieg – Sport – Frieden vor längerer Zeit. Das muss irgendwann rund ums 15. Lebensjahr gewesen sein. Was habe ich gebockt und geheult aus Ärger über die himmelschreiende Ungerechtigkeit der Welt und verpasste, selbstverständlich nie wiederkehrende Chancen. Zum Beispiel: das Verbot meiner Mutter, länger als bis 22 Uhr wegzubleiben, also als Einzige den besten Teil der Fete nach Mitternacht zu verpassen. Wenn alle von einem Glas Criss oder ähnlicher zuckerhaltiger Schaumwein-Plörre total betrunken, sehr erwachsen und sehr nah an der Weltrevolution waren. In solchen Momenten, und davon gab es am Wochenende mindestens zwei, bin ich frustriert in den Wald gerannt, bis die Lungenflügel rebelliert haben. Und weil weinen und laufen wegen der hicksenden Schluchz-Atmung nicht gut gleichzeitig funktionieren – zumindest nicht ohne Seitenstechen – habe ich mich mit jedem Meter etwas mehr beruhigt. Viele Jahre später wurde das System professionalisiert. Dergestalt nämlich, dass die Frust-befeuerten Waldläufe (weg nur, schnell weg, schnell aus der Puste) zu gezielten Joggingrunden in gleichmäßigem Tempo wurden. Weil es mir hinterher immer besser ging.
Darauf setze ich hoffnungsfroh auch bei meiner heutigen Bewegungseinheit. Der Professor ist schuld. Seit dem Vorsatz, meinen Allerwertesten einmal am Tag für etwas nicht mit der unmittelbaren Lebensroutine verbundenem anzustrengen, gehört das Ausdauertraining zum Alltag wie das Tagesabschlussgespräch mit meinem lieben, alten Herrn. Sitzrad, dieses Steppergerät für Arme und Beine, ein Stündchen zackig spazieren oder Gymnastik vor dem Fernseher. Ich bin dadurch bisher schneller durch die Täler gekommen, in denen die Seele regelmäßig festzustecken droht. Diese lähmende, mächtige und ziemlich gemeine Angst vorm Sterben beispielsweise sagt häufiger mal Hallo. Immer noch. Immer mal wieder. Obwohl der Kopf das nicht zulassen will. Da der aber nichts auszurichten vermag, reagiere ich mit dem Körper. Indem er gefordert und dadurch gefördert wird, entspannt sich das verkrampfte Gemüt.
Ich stehe im Fitness-Wunderland meines Vertrauens. Während ich Gewohnheitstier gleich auf das vierte Ergometer von links zusteuere, fallen mir wieder die Laufbänder ins Auge. Wie gerne würde ich wieder joggen dürfen. Die ärztlich verordnete Schonzeit hierfür endet eigentlich aber erst übermorgen. Ich bin hin- und hergerissen. Wie ein Kind am Schaufenster zur Schokoladenauslage betrachte ich fast schon neidisch all die, die mit hüpfenden Brüsten und federnden Schrittes ihre Kilometer auf dem Gerät zurücklegen. Fast siegt der Gehorsam. Da kriecht ein Trotz-Gedanke des rebellischen Kindes in mir hoch: »Ach, was soll’s. Hossa Heilhaut. Das wird schon gehen. Heute ist ein guter Tag für den Start in die neue Laufsaison. Für dich, Herr Professor.«
Der Satz ist kaum zu Ende gedacht, da stehe ich schon auf der fortlaufenden Gummimatte und lege los. Vorsichtig, ob auch nix ziept oder zwickt, was mich zum sofortigen Stopp bringen würde. Nö. Geht alles super. Haaach, herrlich! Ich lächle vor mich hin. Für jeden Betrachter wahrscheinlich ein grenzdebiler Anblick. Lasse meine Gedanken parallel zu meinen Füßen laufen. Nach der Aufwärmphase erhöhe ich das Tempo per Knopfdruck. Jetzt wippt auch mein Busen, soweit die Sportunterwäsche es ihm erlaubt, im Takt des
Weitere Kostenlose Bücher