Fremdkörper
schäme mich. Und zwar sehr. Sehr sehr sehr. Weil ich mich nicht sonderlich präsentabel finde.
Was tun? Ich muss da irgendwie rein. Und auch wieder raus. Aber ich möchte niemandem den Grund für mein Unwohlsein zeigen. Schließlich wähle ich eine ein bisschen alberne Methode. Aber sie erfüllt ihren Zweck. Ich spaziere in meiner Sportunterwäsche zur Duschkabine. Zur letzten in der hintersten Ecke natürlich. Und nach dem Waschgang ziehe ich die frische auch schon wieder vor Ort an. Jippie! Jetzt bin ich allenfalls die prüde Pielhau. Und damit kann ich sehr gut leben.
Abends im Bett stelle ich bei mir fest: Bis zu dem sicheren Gefühl, dass sogar das, was krank war, schön, in jedem Fall aber ganz schön in Ordnung sein kann, wird es wohl noch etwas dauern.
21.
Das erste Mal (Woche 1)
Kaum sind meine Zuchtzellen, die aus dem Unterhaus meines Körpers, in Sicherheit gebracht – für mehr als ein gutes Dutzend ist jetzt Eiszeit angesagt – soll meine Chemotherapie beginnen. Morgen bekomme ich meinen ersten Zyklus. Auf der einen Seite ist mir etwas bis ziemlich mulmig, weil ich nicht genau weiß, was auf mich zukommt. Wie auch. Auf der anderen Seite freue ich mich fast schon, dass es jetzt losgeht und ich aktiv etwas für mich und das Gesundbleiben tun kann: nämlich mitmachen und durchhalten. Die nächsten fünf Monate lang. Ich fühle mich bereit dafür. Will endlich, dass es anfängt, damit es irgendwann zu Ende sein kann. Habe genug Kondition. Körperlich und psychisch. Außerdem in Thom immer noch einen sehr tauglichen Trainer und Motivator. Und eine gute Schar an lieben Leuten, die an der Strecke Energie und Anfeuerung spenden. So schräg das Bild vom Dauerlauf sein mag, für das, was ich mir vorgenommen habe, passt es ziemlich genau. Denn ich möchte während der Chemotherapie nicht auf meinen Sport verzichten. Und muss es auch nicht. Verwundert, um nicht zu sagen skeptisch waren meine Ärzte schon. Aber es gilt nach wie vor: Gestattet ist, was guttut. Nur überanstrengen sollte ich mich natürlich nicht.
Den Höchstpuls um 150 Schläge pro Minute halten und die mich betreuende Ärztin für meine Chemotherapie Dr. Nane Christiansen hat keinen Grund für Einwände. Es läuft. Und ich gehe am nächsten Morgen in aller Frühe von zu Hause in die Klinik. Drei Kilometer sind das pro Weg. Denn einzig am Infusionstag selbst soll ich bitte sehr nicht auch noch trainieren. Darum, das ist jedenfalls mein ausgefuchster Plan, der etwas ausgedehntere Spaziergang in die Ambulanz. Und nachher wieder zurück. Dann wird das Zeug wenigstens schnell im ganzen Organismus verteilt und fließt auch in all die hintersten Ecken und Winkel. So male ich es mir aus. Und das Bild gefällt mir gut. Thom und ich hatten überlegt, ob er beim ersten Mal mitkommt. Und Händchen hält. Ich kam mir allein bei dem Gedanken reichlich mimosenhaft vor. Und hab deswegen eine Begleitung abgelehnt. Postwendend bereue ich den Anflug unnötiger Tapferkeit gerade so sehr, dass ich ernsthaft erwäge, ihn doch schnell anzurufen und zu bitten, mir noch hinterherzufahren. Die Hände greifen schon ums Handy, nur die innere Stimme stoppt jede weitere Aktion: »So große Angst vor einer Medikamenteneinheit, die schon Zigtausende vor dir, Jüngere, Ältere oder Schwächere hinter sich gebracht haben?« Nein. Hab ich nicht. Doch, hab ich doch. Will ich nicht haben. Muss ich nicht haben. Zusammenreißen wäre jetzt angebracht.
Ich versuche mich in rational initiiertem und gesteuertem Mutzuspruch. Dank Bianca weiß ich ja: Die Infusion wird mich nicht gleich beim ersten Mal pulverisieren. Mit ein bisschen Glück merke ich gar nichts. Oder wenigstens nicht besonders viel. Was ich mir nicht vorstellen kann. Denn alle Welt spricht doch immer von der grauenvollsten aller Therapien: der bestialischen Chemo, directly from hell. Die Körper und Seele zerfetzt. Ich mäandere zwischen Zweckoptimismus und mächtig Muffensausen.
In der Infusionsambulanz nimmt mich Schwester Carla in Empfang. Sie ist nicht nur eine speziell ausgebildete Breast Care Nurse – die Ärmste hat also ständig nur Brustkrebspatientinnen um sich –, sondern auch eine echte Erscheinung. So traurig man über das Krankheitsbild auch sein kann, so sehr strahlt und scherzt sie das Trübsal weg. Außerdem sieht sie nicht nur lieb, sondern auch sehr lustig aus. Die Haare stehen ihr zu Berge wie einst – die Achtziger, sie leben hoch – dem Sänger Limahl, wenn den noch jemand kennt. Und sie
Weitere Kostenlose Bücher