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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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glauben die IMAs, die ich kennengelernt habe, dass sie wirklich zur starken, bissigen, ausdauernden Sorte gehören. Und sie bemerken nicht, wie sie mit jedem »Aber« vor ihren vollmundig angekündigten Taten flüchten.
    Die dritte Kategorie, die mir aufgefallen ist, ist die schüchterne, stille Frau. Sie redet nicht viel. Weder klagt sie noch frohlockt sie. Ihr Blick, immer ein bisschen wie der eines verhuschten Rehs, das sich in Manhattan verlaufen hat. Nicht selten kommen bei diesen Frauen die Partner mit zur Sitzung ins Krankenhaus. Jaja, ich weiß, um ein Haar wäre das bei mir auch so gewesen. Das ist die IHA: Ich habe Angst. Letztlich ist sie sehr mutig. Denn sie lebt und zeigt am offensten, was uns Patientinnen, IDÄs, IMAs, IHAs alle eint. Egal, wie tough oder tumb wir uns geben: Krebs macht schwach, allein und eben Angst.
    Es sei denn, man ist ein wenig widerspenstig veranlagt und mag das alles nicht kommentar- und kampflos hinnehmen. Es sei denn, man beschließt, kurz nachdem der erste Schockmoment vergangen ist, die Ärmel hochzukrempeln und die Finger zappeln zu lassen. Es sei denn, man sagt: »Nö. So nicht.« So will ich sein. Ein MFG. Ein Mittelfinger-Girl.

27. 
Lauf um mein Leben (Woche 7)
    Nicht Mittelfinger, vielmehr Mittelfüße und deren Knochen muss ich recken und strecken, bevor ich mich joggend ins Grün des Großstadt-dschungels stürze. Und das muss heute dringend sein. Ich habe Wirbelsturm im Schädel und Chaos in meiner Gefühlswelt. Das muss in Ordnung gelaufen werden. Dieses bescheuerte Streitgespräch der beiden Chemo-Kolleginnen vor zwei Tagen scheint mich intensiver zu beschäftigen, als ich das vor anderen zugeben würde. Ich habe sogar davon geträumt. Natürlich, weil mir bei allem Kopfschütteln über den Immer-einer-mehr-als-du-Wettstreit klar war, dass ich von uns dreien diejenige war mit der undankbaren, weil ungünstigeren Diagnose respektive Prognose. Das sollten die beiden natürlich nicht wissen. Aber mein Unter- und auch das reflektierende Bewusstsein haben die Gelegenheit genutzt, mich leider ausgerechnet nachts während der Traumphasen noch einmal auf diesen Umstand hinzuweisen. Die Konsequenz: Ich habe mich nur erbärmlich erholt. Und meine psychische Situation ist für den Arsch. Seit 48 Stunden geht es mir richtig schlecht. Ich bin depressiv und innerlich matschig-grau. Angst verteilt auf 1 Meter 67 ohne Haare. So elend ist es mir schon seit Wochen nicht mehr ergangen. Na, dann wollen wir mal sehen, was die ganzen im Frohsinn ausgegebenen Durchhalteparolen taugen, wenn man sie wirklich braucht. Ich habe zwar überhaupt keine Lust. Aber die Laufschuhe stehen schon aufgeschnürt vor mir. Der mp3-Player kann von der Steckdose genommen werden. Er ist bis zum Anschlag aufgeladen. Das wünsche ich mir auch: eine Andockstation für Energie aus der Wand. Zwei Stunden ruhig verharren, und – bsssss – es ist wieder genug Power im Persönchen für die nächste Zeit. Weil so eine enorm sinnvolle Erfindung aber erst noch gemacht werden muss, begnüge ich mich mit der herkömmlichen Methode zur effektiven Endorphingewinnung: Sport. Einen tiefen Seufzer später finden sich meine Füße in den bereitgestellten Schuhen wieder. Kopfhörer in die Ohren, play, und los. Ich habe mir irgendwann mal angewöhnt, wirklich direkt loszulaufen, sobald ich die heimische Wohnung verlasse. Obwohl wir eigentlich einen Lift haben und ihn normalerweise auch benutzen. Ja. Auch zum runterfahren. Und daher gilt es erst einmal die vier Stockwerke hinter mich zu bringen, bevor der Asphalt seine Tritte abbekommt.
    Die Idee hinter dieser Raus-und-los-Taktik ist schlicht die, dem Schweinehund möglichst wenig Angrifffläche zu bieten. In den 25 Sekunden im Fahrstuhl auf dem Weg nach unten kann man sich immerhin noch 17 unanstrengendere Zeitvertreibe ausdenken als den, den Glutaeus maximus zur Arbeit zu rufen und ein wenig zu trainieren. Auf der Straße finde ich nicht so einfach wie sonst in meinen Rhythmus. Ich erwäge ernsthaft auch nach 500 Metern wieder umzukehren. Nur der Kopf zwingt mich zum Durchhalten. Die Musik hilft dabei. Heute auf der Playlist: The Divine Comedy, anders als der Name nicht unbedingt göttlich lustige Musik. Eher von der bitter-melancholischen Sorte. Passt daher bestens zu meiner Stimmung. Here comes the Flood trifft mich auf meinem Niveau. Der feine Herr Popstar singt nämlich vom Wettlauf der Katastrophen der Neuzeit: auf Bahn 2 zum Beispiel die Weltwirtschaftskrise, auf der

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