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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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ein nasser Waschlappen träge und schläfrig in meiner Liege kleben. Heute werde ich schon zum letzten Mal mit dem ersten von drei unterschiedlichen Medikamenten-Cocktails abgefüllt. Das erste Drittel! Heute Nachmittag kann ich es mit selbstverständlich dickem Edding von meiner Liste streichen. Nächstes Mal: Taxol. Neuer Mix, neues Glück. Das Roulette der Nebenwirkungen dreht sich aufs Neue. Bin gespannt, wo es haltmacht. Bislang bin ich noch nicht wirklich heimgesucht worden. Gut. Die Haare sind nicht mehr da. Das tut aber nicht permanent weh. »Nur« der Seele. Das reicht ja auch. Und das Wissen um ihre Rückkehr lindert das Weh.
    Husten muss ich morgens. Wie Keuchhusten. Aber nicht so entzündet. Aushaltbar. Dann ist der Appetit auf der Strecke geblieben. Habe nur sehr wenig Hunger. Also esse ich nach Uhr und Aufforderung. Naja, und dann noch diese Schlappheit. Ich bin sehr oft sehr müde. Und zwar vor und nach dem Schlafen. Auch das kann man handhaben. In den vergangenen Wochen bin ich zum ganz großen Verfechter des Vormittags-, Mittags- und Nachmittagsschläfchens geworden. Nun, das war es dann aber auch schon an unangenehmen Begleiterscheinungen der zytostatischen Therapie. Bis jetzt. Ich halte an meiner Überzeugung fest, dass es so schmerzfrei weitergeht. Und zwar wenn ich, neben den Sofortmaßnahmen Sport, Schlaf, besonders gesundes Essen, nur meinen Glauben an das Happy End und meine gute Laune nicht verliere.
    Aber genau das wird mir heute nicht leicht gemacht. Als ich die, hach ja, lieb gewonnene Infusionsstation betrete, den vertrauten Ruheraum, weht mir ein kühler Wind entgegen. Und daran ist kein offenes Fenster schuld. Was ist denn hier los? Das Radio in der Ecke spielt besonders schlimme Partyschlager. Immerhin Geräuschkulisse. Auf meine etwas unsichere Begrüßung murmeln die zwei Patientinnen, offenbar ursächlich verantwortlich für das polare Klima, irgendetwas zurück, was entfernt an »Morgen« erinnert. Da dies für die beiden, so wie es den Anschein hat, kein guter Morgen ist, wäre es vermutlich auch zu viel verlangt, mir wenigstens einen zu wünschen. Gut. Macht ja nix. Dann eben nicht. Da kann ich nichts machen, außer innerlichem Schulterzucken. Übrigens eine erprobte Methode, Dinge, für die sich ein Gedankenkarussell überhaupt nicht lohnt, schnell fallen zu lassen, bevor sich der Kopf unnötigerweise darin verhakt. Also: Schulterzucken vorstellen, ohne wirklich mit den Schultern zu zucken. Und das Ganze dann zu den Akten packen. Nicht selten entfährt mir dabei ein gleichgültiges »Hm«. Auch jetzt. Die beiden drehen mir leicht irritiert die – und jetzt kann ich sie in ihrer vollen Schönheit bewundern: glühenden – Köpfe zu, scheinen aber zu vertieft zu sein in was-auch-immer-hier-die-Eiszeit-hat-hereinbrechen-lassen, um weiter abgelenkt zu werden.
    Kurz darauf erscheint Schwester Carla auf der Bildfläche, um mich an meine vertraute Tankstelle anzulegen. »Na, wie sieht’s aus bei Ihnen?« Ich antworte ihr leise und ein bisschen verschwörerisch: »Bei mir ganz gut. Aber bei den klirrenden Temperaturen hier gefriert einem ja die Spucke im Hals.« Ich zeige mit meinen Augen in die Richtung der beiden Damen. Carla nestelt mit der langen, unfreundlichen Nadel an meinem Port herum und beugt sich etwas näher zu mir, um kaum hörbar zu flüstern: »Die haben sich in die Haare gekriegt ...« Ich kann nicht anders. Es muss raus: »Haare? Welche Haare? Hihi ... Tschuldigung.« Carla schmunzelt und fährt fort: »Also, Thema war: lieber schonen oder lieber bewegen während der Chemo. Sie hier ...«, sie deutet mit ihrem Kopf zur Patientin, die direkt neben mir sitzt, »macht nichts. Gar nichts. Um nicht zu sagen, die ist stinkefaul. Naja, und die da ...« Carla nickt zur Frau gegenüber, » ... ist verhältnismäßig aktiv.« Stirnrunzelnd wispere ich: »So ist das eben. Eine kann. Die andere nicht so gut. Das ist doch in Ordnung und kein Grund sich zu streiten.« Jetzt zuckt Carla mit den Schultern. Und zwar nicht innerlich. Sie verklebt meinen Einstich, sodass nichts mehr während der Befüllung verrutschen kann, und wendet sich mit einem Schalk-im-Nacken-Blick der hemmungslosen Belustigung zum Gehen.
    Meine Nachbarin muss Mitte 60 sein. Um den Kopf trägt sie ein schlichtes, hellbraunes Tuch. Und sie gehört zu den Frauen, die ihr Gesicht immer irgendwie angespannt, um nicht zu sagen verkrampft, halten. Was sich unschwer an den gekräuselten Stirnfalten und permanent

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