Fremdkörper
stattfinden und gedreht werden kann.
Nach dem ersten Schock über meine eigene Unzuverlässigkeit subtrahiere ich Unzuver- und finde: Lässigkeit. Ich hab mich vertan. Nicht mehr und nicht weniger. Passiert. Mir nicht oft. Aber eben jetzt. Das ist doof für die, die warten müssen. Aber es ist kein Weltuntergang. Dafür werde ich nachher im Interview mit wahnsinnig spritzigen, lustigen, knackigen Antworten innerhalb kürzester Zeit das Material liefern, das sich der Redakteur erhofft. Hoffe ich. Und so holen wir den Zeitnachteil wieder auf. Zumindest ist das mein Plan. Ich suche mir fernsehgerechte Klamotten zusammen und fahre los. Früher hätte ich mich bis hierhin schon bis zur Unkenntlichkeit selbst zerfleischt ob des Fauxpas, hätte meine schöne Kleidung vor lauter Hektik unansehnlich durchgeschwitzt und längst meine aufrechte Haltung verloren. Bei so viel schlechtem Gewissen und Schuld auf den Schultern. Ich übe mich in der neu entdeckten Gelassenheit.
Vor Ort erkläre und entschuldige ich mich natürlich artig und erfahre, dass »das nicht so schlimm war, wir haben die Pause zum essen genutzt. Es hatten sowieso alle Hunger.« Na, wunderbar. Hatte mein Patzer sogar Sinn. Mit knurrendem Magen soll doch bitte schön niemand arbeiten müssen. Ich lasse mich anmalen und dann legen wir los. Das Interview klappt wie geplant. Und der Redakteur erreicht sogar noch den ursprünglich gebuchten Flug zurück nach Köln. Alle happy. Ich auch. Wir haben alles fertig bekommen. Und das, ohne dass ich mich fertig gemacht habe. Punktsieg.
30.
Alien unter uns (Woche 10)
Ich war aus. So richtig wie früher. Bis tief in die Nacht. Und dabei haben wir es gekonnt krachen lassen: mit Mangosaft oder alkoholfreiem Erdbeer-Daiquiri habe ich mich hemmungslos durch alle Drinks ohne Dröhnung gesoffen. Eigentlich ist so ein alkoholfreier Abend oder ein alkoholfreies Leben gar kein Stoff für Gespräch. Wenn nicht denen, die nicht volumenprozentreich mitfeiern, so oft der Ruf der Partypooper anhaften würde. Und ohne zu merken, wie die Zeit fliegt, habe ich mit Wonne, Vergnügen und vielen lustigen Unterhaltungen das Gegenteil bewiesen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Um 4 Uhr morgens erst waren wir im Bett. Quod erat demonstrandum. Was zu beweisen war. Hat sich gut angefühlt, erfolgreich noch eine gewisse nächtliche Partytauglichkeit an den Tag gelegt zu haben. Habe ich schon seit sehr langer Zeit nicht mehr gemacht. Und eigentlich wäre es auch nicht der Rede wert, wenn die Umstände nicht so besonders wären. Denn: Zurzeit fühle ich mich mit jedem Tag mehr, der vergeht, immer weniger gesellschaftsfähig. Der Grund: Ich mutiere langsam zum Alien. Echt wahr. Mein Spiegelbild wird immer gruseliger. Schuld daran ist die zweite Ladung Taxol diese Woche. Die gibt den verbliebenen Härchen den Rest. Und sie vergreift sich auch sonst an meinem einst tadellos funktionierenden Organismus. Daher registriere ich derzeit merkwürdige Phänomene. Sehr geballt, sehr verstörend. Kohlensäure zum Beispiel vertrage ich gar nicht mehr. Das brennt im Mund. Wirklich. Leichte Schärfe auch. Wie Feuer. Gleichzeitig hab ich aber immer den Salzstreuer im Anschlag. Und salze mittlerweile sogar schon ohne Probierhappen nach. Weil alles so fad schmeckt. Meinem getrübten Geschmackssinn zufolge.
Außerdem – tut mir leid, dass ich so jammere, aber es reicht mir gerade sehr – juckt seit Tagen mein Körper. Weil ich mich ständig kratzen muss, kommt mein Leib in den fragwürdigen Genuss wiederholter Peelings. Absurderweise aber fühle ich in den Fingerkuppen, mit denen ich jucke, nichts mehr. Die sind taub, die Fußsohlen auch, was zu dämlichen und Blicke auf sich ziehenden Stolperern beim Joggen führt. Mann, gehe ich mir gerade selbst auf die Nerven. Apropos: Auch die Nerven im Gesicht scheinen lahmgelegt. Das ist merkwürdig. Erst recht, wenn mein Liebster mich über die Wange streichelt. Das sehe ich zwar, aber ich fühle es nicht. Blöd. Merkt jemand etwas? Schön gemütlich ist es gerade in meiner Schmoll- und Quengelecke. Am besten, ich gehe gleich noch laufen. Während ich vor mich hin grummele, betrachte ich meine blau angelaufenen Fußnägel und meine Muttermale, die sich plötzlich an allen möglichen und unmöglichen Stellen ausbreiten. Die sind wenigstens nur hässlich. Und lasten nicht so auf dem Gemüt. Doch das Schlimmste ist und bleibt das fliehende Fell.
Ich habe den Eindruck, jedes Haar verlässt im Moment mit erhobenen
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