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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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Geschichte dermaßen an? Erst recht eine, die mir noch nicht einmal persönlich begegnet ist? Es ist wohl die Angst vor der eigenen, fremdbestimmten Handlungsunfähigkeit. Die Panik vor einem ganz und gar zerstörten, zerschmetterten Ich. Körperlich wie seelisch. Vor einem Wachkoma ohne Weckmöglichkeiten. Weil beim Krebs bekanntermaßen Gleiches mit Gleichem vergolten wird. Ein bösartiges Zeug gegen bösartige Zellen.
    Noch eine Weile reden wir uns die kahlen Köpfe heiß, wie man am besten mit Frauen à la Coco umgeht (nämlich sie umgehen und meiden). Und warum uns das nicht nur betrifft, sondern rechtschaffen betroffen macht. Logisch: Jede Frau reagiert anders auf die Verkündung der Krise Krebs. Keine nimmt das leicht. Geht ja gar nicht. Dazu steht zu viel auf dem Spiel. So etwas Unscheinbares wie das eigene, ganze, geliebte Leben nämlich. Und daher ist es nicht so, dass wir diese Katastrophe nicht auch schon als solche empfunden hätten. Oft. Aber irgendwann, so stellen wir zumindest für uns beide fest, kommt es doch darauf an, wie viel Gewicht der Schwere gegeben wird. Wir sind uns einig, dass wir es wenigstens ein Stückchen weit in der Hand haben, ob und wenn ja, wie tief wir uns runterziehen lassen. In den ganzen Monaten der Therapie und der Auseinandersetzung mit diesem fiesen Gegner habe ich mir in der Rolle der zickigen Rebellin immer besser gefallen denn als eingeschüchtertes Kauer-Käuzchen. Und wann immer ich mir die Superwoman selbst nicht so recht glauben mochte, dann habe ich eben so lange geredet und beschworen, bis auch die kritischste Zuhörerin von der Wahrheit der Worte überzeugt war: ich.

32. 
Zwei Drittel im Dreivierteltakt (Woche 12)
    Seit ich Schlafengehen nicht mehr als die grausamste und ungerechteste elterliche Anweisung der Welt empfinde – also seit etwa 20 Jahren – schlafe ich schlecht. Leider. Ist doch gemein. Da hat man sich gerade mit der Tatsache arrangiert, dass nachts schlafen – unglaublich, aber wahr – sinnvoll und erholsam sein kann. Dass man wirklich nichts verpasst, auch wenn alle anderen natürlich noch viel länger aufbleiben und Gelächter durch die geschlossene Tür ins Kinderzimmer dringt. Dass so eine weiche, kuschelige Schnarchgrube der perfekte Ort ist, um über Björn aus meiner Klasse, der mein zukünftiger Mann wird, davon nur noch nichts weiß und auch nicht gefragt wird, nachzudenken. Schmachtend, versteht sich. Da findet man, ich, also schlafen plötzlich richtig gut – und dann geht es nicht.
    Ich werde schon so lange in meinem eigentlich der Regeneration gedachten Schlaf gestört, dass ich mich über eine Nacht mit nur drei oder vier Unterbrechungen freue, als hätte ich wie ein Murmeltier monatelang geratzt. Dementsprechend habe ich seit einigen Tagen außerordentlich viel Anlass zur Freude. Mein Schlaf ist schön. Sobald es draußen dunkel wird, zeige ich meinen dunklen Rachen häufiger, als höflich ist. Ich gähne. Herzhaft und voller Vorfreude auf die Federn. Spätestens gegen etwa 21 Uhr 17 verabschiede ich mich zur Nacht. Und zwar aus jeder noch so lustigen Gesellschaft, ich verlasse die spannendste Pokerrunde trotz wachsendem Stapel an Spielgeld vor mir und – Achtung, Opferbereitschaft! – verzichte sogar auf den schlecht gelaunten Doktor aus dem Fernsehen. Das kecke Näschen voran, tippel ich auf den Fußballen ins Schlafzimmer und hechte mit einem selbstverständlich elastischen und unheimlich eleganten Satz in die Kiste. Leider lese ich selten mehr als eine Seite in meiner aktuellen Bettlektüre. Schneller als der Buchdeckel klappen die der Augen unter der Last der mittlerweile sechs Ladungen Chemie zu, der Speichelfaden wählt den kürzesten Weg zum Kissen am Mundwinkel vorbei. Mit ein bisschen gutem Willen schaffe ich einen geräuschlosen Übergang von Wachzustand in die Tiefschlafphase. Diese genießerische Glückseligkeit in der Horizontalen hält acht, manchmal neun Stunden. Hat doch auch was Gutes, so ein Knock-out-Medikament: schlafen, wie betäubt.
    Als ich am nächsten Morgen wach werde, fühle ich mich auch nach einer halben Stunde gemütlichen Räkelns immer noch wie bewusstlos. Zumindest Teile von mir sind taub, ohnmächtig. Mein eigentlich unzerstörbares Zentrum der positiven Lebensenergie ist sprichwörtlich ohne Macht. Jede Faser meines Körpers ist niedergeschlagen. Grund an diesem furchtbar schäbigen Morgen: Eine neue, noch nicht gekannte, fixe Idee hat sich meiner bemächtigt. Objektiv betrachtet (was ich

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