Fremdkörper
hoffe, gekommen, um zu bleiben. Wo sie wohl war? Vermutlich verdrängt von Grübelzwang und Verstimmung. Versteckte sich vor deprimierten Tiefschlägen. Nur um sich in einem sehr geeigneten Moment, jetzt, an ihren angestammten Platz zurückzukämpfen. Und mit ihr, hinter ihrer Schulter sozusagen, lugt der Optimismus hervor. Erst vorsichtig, dann mir fröhlich winkend eilen beide schnell zu ihren Positionen. Da haben sie es sich umgehend wieder häuslich eingerichtet.
Denn nach meinen 45 Minuten im Park mache ich zu Hause nur einen kleinen Zwischenstopp, um mit gepackter Tasche zum Sportstudio zu gehen. Weitere 45 Minuten verbringe ich strampelnd auf dem Sitzfahrrad und dann noch mal dieselbe Zeit Treten und Drücken auf dem Crosstrainer. Rocky kann sich nicht kräftiger, unbesieg- und unverwundbarer gefühlt haben als ich nach dem Training. Der Stolz hat mir mit Sicherheit die Brust auf eine Körbchengröße mehr anschwellen lassen. An diesem Tag habe ich meine persönliche Glücksformel für die besonders heiklen Tage gefunden. Ein, nein: mein Dreiviertel-(Stunden-)Triathlon. Gegen miese Momente. Apropos: Was meinen Medikamente-Triathlon angeht – ich bekomme ja insgesamt 9 Infusionen, jeweils 3 unterschiedliche Substanzen – habe ich ja auch schon zwei Drittel hinter mir. Jetzt kommt als Nächstes das Teufelszeug, von dem Prof. Dr. Fragwürdig behauptete, es würde mich so in die Knie zwingen, dass ich einbreche und vorzeitig aufgebe. Wenn der wüsste, wie schön ich mein Knie bewegen kann. Gerne auch in eine Richtung, wo es den Jungs besonders wehtut.
33.
Sex and the Titty (Woche 13)
»Mann.« Pause. »Mann, Mann, Mann.« Thom hält wieder inne. Vermutlich, weil ich reagieren soll. Ich kann noch nicht. Ich träume noch ein bisschen. »Mann, sind wir doof. Was für eine verschenkte Chance.« Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wovon mein Liebster spricht. Bemühe mich aber um eine zügige Kontaktherstellung zwischen meinen Synapsen. Denn auch die sind noch im Stand-by-Modus. Das mag an der nachtschlafenen Uhrzeit liegen. Nicht zu früh, um aufzustehen. Und auch noch nicht spät genug, um sich zu schämen. Also 7 Uhr morgens. Der Ort: unser Bett.
Mein Sprachzentrum gähnt sich als Erstes wach und blubbert drauflos: »Was meinst du? Was ist denn danebengegangen?« – »Na, unsere einzigartige Geschäftsidee. Wir haben nicht nur Wochen, wir haben Monate verpasst. Aber es könnte jetzt auch noch funktionieren.« – »Hab ich damit zu tun oder ist das eine deiner vielen Ideen, wie wir mit wenig Aufwand und einer hohen Wahrscheinlichkeit sehr reich werden? Ohne Lotto?« Thom triumphiert. Er hat meine ungeteilte Aufmerksamkeit, wenngleich ich ihm diese nur mit einem von der Kopfkissenfalte geteilten Gesichtsausdruck beweisen kann. »Also, pass auf ... dass ich da nicht früher draufgekommen bin: Wir kaufen ganz viele, kleine, runde Spiegelchen. Dann musst du natürlich immer eine Taschenlampe zur Beleuchtung dabei haben. Dann kleben wir die Spiegel auf deinen Kopf und vermieten dich als ... tataaaa: Discokugel.« Kaum hat er seinen wirklich patentwürdigen Einfall formuliert, untermalt er ihn, indem er meinen Part spielt und seinen Kopf rhythmisch hin und her bewegt. Mit einer imaginären Leuchte in der linken Hand. Ein lauter Gelächterschwall explodiert aus mir heraus. Dieses Bild ist so absurd und meine eigene Vorstellungskraft noch so stark – kein Wunder: Bis eben war ich ja auch noch im Traumland –, dass ich mich liegend schlapplachen muss. Mit Tönen aus dem Mund und Tränen aus den Augen. Und er mit mir mit. Ich richte mich auf und folge seinem Beispiel. Immer noch wellenartig gackernd und glucksend wiege und kreise ich meinen nackten Kopf und flöte: »Night fever, Night feveeer ...« – »We know how to do it ...« Thom singt es mit und küsst mich auf den Mund: »Guten Morgen, Mädchen.« – »Danke schön, Liebster.«
Wir freuen uns. Tage, die mit Kaputtlachen anfangen, kann man auch im weiteren Verlauf sonst kaum kaputt machen. Im Gegenteil. Wie vermutet verbringen wir sehr schöne Stunden. Bummeln ein bisschen, geben viel Geld für wenig Stoff aus, bringen die Wohnung und Papierkram in Ordnung und sitzen abends an unserem dunklen Holztisch beim Abendessen. Thom hat gekocht. Wie sich das für einen Mann gehört, hat er dabei die Küche in eine Wertstoffanlage verwandelt, in die soeben ein Meteorit eingeschlagen ist. Mir ist es nach wie vor ein Rätsel, warum der Herr an und für sich
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