Fremdkörper
diese unsere Zweisamkeit verzichtet. Und auch die Mediziner unterstützen das. Sie sagen: Wenn der Sex zu aller Zufriedenheit klappt, dann geht’s beiden viel besser. Miteinander schlafen, erst recht, wenn das die beiden Beteiligten gut finden, macht Spaß, gute Laune, hält gesund und ist ein prima Antidepressivum. Im Leben und in Zeiten der Terrortherapie erst recht. Hat mir meine Psychologin erklärt. Und ich kann das nur bestätigen. Also, ihr Weibchen, ran an den Mann. Wenn noch jemand für eine schöne Atmosphäre und die rechte Stimmung sorgen soll: Ich kenne da einen neuen Mietservice für Discokugeln ...
34.
Das erste Mal:
Oben ohne (Woche 14)
Die Maskenbildnerin kämmt mir meine Haare und macht Vorschläge für eine fernsehtaugliche Frisur. Glatt oder lockig, was Gestecktes oder ganz offen? Ich soll heute in München eine Testsendung aufzeichnen und möchte selbstredend besonders hübsch aussehen. Daher entscheide ich mich für die kräuselfreie Variante. Sie stöpselt ihr Haarbügeleisen ein und beginnt, Strähne für Strähne glatt zu ziehen. Konzentriert, aber auch ein bisschen angespannt. Warum ist sie so nervös?
Meine Gedanken schweifen ab zum Anfang dieser Woche. Ich habe die erste der letzten drei Infusionen bekommen. Die erste der letzten drei. Klingt gut, nicht? Finale. Besser als: Der siebte Zyklus. Bald ist es vorbei. Das Ziel ist schon in Sicht. Aber auf den letzten Metern liegen wahrhafte Pyramiden aus Stolpersteinen. Oder anders gesagt: Das neue Mittel heißt Cyclophosphamid und ist ein echter (Vorschlag-)Hammer. Erstens dauert die Sitzung mit fast fünf Stunden noch einmal gut zwei Stunden länger als die vorangegangenen. Zweitens klingelt mir der Schädel unmittelbar danach, als hätte ich einen Abend mit Gorbatschow hinter mir. Und zwar Wodka Gorbatschow. Denn ich fühle mich schwer, unkoordiniert und unfähig zu reden, wie das bei einem handelsüblichen Rausch der Fall ist. Und drittens ruft das Medikament einen neuerlichen Kessel bunter Nebenwirkungen hervor, den ich noch nicht kannte. Mag auch sein, dass mein malträtierter Körper jetzt in der Schlussphase schneller einknickt als am Anfang. Ich kann es ihm nicht verdenken. Er war doch sehr tapfer bis jetzt. Zum ersten Mal in der ganzen Zeit der Chemotherapie äußere ich immer mal wieder Unbehagen und Ungeduld. Aber selbst das kann ich mir gut verzeihen. Bis jetzt war die Moral tadellos.
Da gestattet sich die Pedantin und Intendantin dieses Stücks auch kleine Hänger in der ansonsten bisher fehlerfreien Gesamtvorstellung. Und trotz der Erschöpfung frage ich mich: Das soll nach Prof. Dr. Fragwürdig also die Giftmischung sein, die mich zum Aufgeben bringt? Spott. Hohn. Pah! Pustekuchen! Dazu müssten schwerere Geschütze aufgefahren werden. Für eine Sekunde erwäge ich, ob er mich seinerzeit absichtlich so demontiert hat. Um meinen Kämpfergeist anzustacheln. Zum Glück setzt schnell der Verstand ein und fegt diese versöhnlich gemeinte, aber hirnrissige Idee vom Tisch. Denn es steht zu viel auf dem Spiel, wenn er mit dieser zweifelhaften Methode nicht die gewünschte Motivation erreicht: das Leben. Meines. Und das anderer Patientinnen, die sich nach so einer Ansage vielleicht im letzten Moment doch noch gegen eine Zytostatika-Therapie entscheiden.
»Hältst du deine Perücke mal bitte vorne fest?« Die Aufforderung der Maskenbildnerin reißt mich aus den Gedanken. Und plötzlich fällt mir auch ein, warum sie etwas unsicher sein könnte. Wir haben schon einmal zusammengearbeitet. Das ist noch gar nicht so lange her. Ein halbes Jahr vielleicht. Sieben Monate? Mir fällt es wieder ein: Sie hat mir Farbe und Frisur verpasst für neue Autogrammkarten. Neuer Sender, neue Sendung, neue Fotos – so ist das Spiel. Mir dämmert, dass diese Situation für sie nicht so leicht ist. Vor etwas mehr als einem halben Jahr konnte sie mir mit den Fingern durch meine hingebungsvoll gezüchtete und gepflegte Mähne fahren, hat das glänzende, gesunde Haar in ihren Händen gespürt. Jetzt ist da nur noch ... Discokugel. Und da wir dasselbe Alter haben, spielt sich in ihrem Kopf gerade ein Kino ab, das einen sehr dramatischen Film zeigt, nehme ich an.
Ich gehe in die Offensive und spreche über die Krankheit und ihre Therapie. Beinahe erleichtert wird sie ihr Mitgefühl und ein bisschen Sorge um mich los. Während sie die Wimperntusche auf die Kunstwimper aufträgt, sagt sie: »Es tat mir leid. Und mir hat das so furchtbar Angst gemacht, als
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