Fremdkörper
Kochen und Küche nicht in einen organisierten, strukturierten Einklang bringen kann. Da ich keine Antwort auf derlei Fragen habe, werde ich wohl irgendwann ein Buch darüber schreiben müssen. Frauen, nein, ihr seid nicht allein. Die Verwüstung sei ihm verziehen, denn es schmeckt hervorragend.
Ich schneide mein Rinderfilet und gleichzeitig ein sensibles Thema an: »Sag mal, wenn du mich, meine Brust, betrachtest oder fühlst, achtest du da auf die Narben?« – »Nein. Die fallen mir schon lange nicht mehr auf. Ich merke nur, dass sich immer noch etwas verändert. Ich habe den Eindruck, dass der Heilungsprozess immer noch nicht abgeschlossen ist. Da tut sich noch etwas.« Das erstaunt mich. Auch, weil ich bisher nichts bemerkt habe: »Wirklich? Das gucke ich mir gleich an.« Nach dem Essen verschwinde ich mal wieder im Bad und widme mich meinem Spiegelbild. In der Tat: Fast vier Monate nach der Operation sind die Schnittlinien deutlich schmaler und weicher geworden. Sollte mein ständiges, fast schon neurotisches Eincremen tatsächlich eine sinnvolle Wirkung gehabt haben? Mal sehen, wie sich das entwickelt. Ich bin schon mit dem Ist-Zustand ganz zufrieden. Denn alles in allem ist der Makel ein sehr überschaubarer. Ich habe mich akzeptiert, so wie ich jetzt aussehe. Das fiel mir leichter als gedacht. Besonders weil Thom es mir nicht schwer gemacht hat. Er findet mich da schön und zauberhaft, wo ich mich hässlich und ekelhaft fand. Daher pflegen und lieben wir unsere Nähe und Intimität wie immer.
Und, ehrlich gesagt, ist es, seit ich meine anfängliche Scheu und Scham wegen der vernähten Stelle überwunden habe, so erfüllend wie immer. Was ein wenig verwundert. Denn das ist längst nicht bei allen Chemotherapie-Patienten so. Erst gehen die Haare, dann die Lust verloren. So tuschelten die Frauen vor Monaten schon hinter vorgehaltener Hand – und taten nichts dagegen. Dabei ist das doch eine wichtige Angelegenheit. Warum spricht da niemand offen drüber? Ich hatte schon früh Informationsbedarf in dieser Sache. Auch weil mir Prof. Dr. Fragwürdig so eine unsinnliche Perspektive aufgezeigt hat. Indem er mich rüpelhaft anging und ermahnte, bloß meinen Mann nicht zu vergessen. Ganz zu schweigen davon, dass ich ja auch noch da bin. Egal. Lust-Verlust steht im Raum. Das wollte ich nicht tatenlos geschehen und unvorbereitet auf uns zukommen lassen. Aber: Alle schwiegen bis jetzt. Ich mochte aber nicht, dass es um mich herum und erst recht nicht in meinem Bett so still wird. Deswegen habe ich das Thema rechtzeitig mit meiner Ärztin Dr. Lauckmann besprochen. Bevor es so weit und das Begehren weit weg ist. Was gut war, wie sich zeigen soll. Sie hat mich aufgeklärt, dass es tatsächlich zur zeitweisen Abstinenz der Libido kommen kann. Zeitweise. Das hängt wohl mit den vielen Wirkstoffen zusammen, die sich in mir im Laufe der Monate anreichern. Ich bin verunsichert: »Ist das mit dem Null-Bock bei jeder Frau so?« – »Nein. Es gibt immer Ausnahmen.« Danke sehr. Diese Antwort wollte ich hören: »Ich behaupte mal wieder dreist, dass das – wie so vieles – eine Kopfsache ist?« Sie lächelt: »Auch. Ja.«
Mit diesem verbalen Freibrief fürs fröhliche – Verzeihung – Vögeln in der Tasche haben sich dementsprechend unsere intimen Stunden der vergangenen Wochen und Monate genauso glücklich gestaltet wie in der Zeit davor.
Bis heute Abend. Das Verlangen ist groß. Die Stimmung großartig. Doch die intime Annäherung, das merke ich nach wenigen Sekunden, hat etwas von ihrer Normalität eingebüßt. Autsch. Herzlich willkommen in der Wüste Kalahari. Seufzen. Diese Dürrezeit kommt nicht ganz ohne Ankündigung. Auch von diesem Problem wusste ich, dass es uns ereilen könnte. Wenngleich auch hierüber niemand reden mochte und ich das, was ich weiß, in medizinischer Eigenrecherche herausgefunden habe. Mit Geduld und Spucke kommt man in diesem Fall schon ein gutes Stück weiter. Oder aber man bediene sich eines handelsüblichen Gels. Ich hatte schon vor einigen Wochen ein paar Tuben auf Vorrat gekauft. (Im Sexshop. Alleine. Vermummt. Boah. Eine Sache mit rotem Kopf!) Insofern war es für uns bisher eher ein spannendes Experiment über die Funktionalität dieser Masse denn ein Notfallplan für außerplanmäßige Kopulationshürden.
Zur großen Freude aller Beteiligten ist diese durchsichtige Lösung auf Wasserbasis die Lösung. Macht aus dem Trocken- ein Feuchtgebiet. Glück gehabt. Ich hätte nur ungern auf
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