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French 75: Ein Rostock-Krimi

French 75: Ein Rostock-Krimi

Titel: French 75: Ein Rostock-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard R. Roesch
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beklagte, trat zwischen dreiundzwanzig und fünfundzwanzig Jahren auf. Bis zum dreißigsten Lebensjahr bildete sich die chronische Phase heraus, in der er vorgab, ein reifer Mann zu sein. Der Junge spielte das Mann-Sein. So gelang es ihm, eine Frau zu finden, zu heiraten, Kinder zu haben, jedoch wuchs seine stetige Unzufriedenheit bis zum fünfundvierzigsten Jahr immer weiter. Er ging einer geregelten Arbeit nach, litt jedoch an einer tiefen Verzweiflung, die sein Leben monoton und langweilig erscheinen ließ. Danach wurden Unruhe und Depressionen immer stärker.
    Solch ein Mann gehörte oft der Mittelschicht an. Er wirkte sympathisch und umgänglich. Als jüngerer Mensch lebte er oft von der Hand in den Mund, als älterer war er finanziell abgesichert, was ihm aber nicht so erschien. Er strebte durchaus eine Karriere an, wollte aber nur wenig dafür tun. Später entwickelte er sich zu einem wahren Arbeitstier und definierte sich darüber. Immer setzte er unrealistische Erwartungen an sich selbst, an seine Kollegen, aber auch an seine Frau und seine Kinder. Gewöhnlich war er das älteste Kind einer traditionell strukturierten Familie.
    Solch ein Mann war emotional gelähmt. Gefühle waren in ihrer Entwicklung gehemmt worden und wurden nur selten im gleichen Maß ausgedrückt, so dass aus Zorn oft Wut wurde, aus Freude Hysterie, aus Enttäuschung Selbstmitleid. Obwohl er als Kind extrem sensibel gewesen ist, war sein Verhalten als Mann oft egozentrisch und grausam. Solch ein Mann hatte den Kontakt zu sich selbst verloren, er wusste gar nicht, was er eigentlich fühlte. Es war ein Verhalten, das oft auch bei Serienkillern festgestellt worden war. Diese Menschen hatten die Verbindung zu ihrer Gefühlswelt durchgeschnitten; bewusst oder unbewusst.
    Pawel Höchst lehnte sich zurück und ließ die Informationen in sich einsickern. Die restlichen vier Seiten der Einführung druckte er aus, um sie später zu lesen, doch schon jetzt hatte er eine ziemlich klare Vorstellung von dem Unbekannten, den er suchte. Pawel schaltete den Computer wieder aus und plante die nächsten Schritte.

XXIII
     
    »Muss das sein?«
    »Ja, das muss sein!«
    »Warum muss das denn jetzt sein?«
    »Weil wir Studien durchführen. Die müssen objektiv sein. Darum brauchen wir eine Menge subjektiver Meinungen. Wir nehmen, was wir kriegen. Jede Meinung ist uns wichtig, auch Ihre! Gerade Ihre! Die Masse macht dann den absoluten Durchschnitt.«
    »Verstehe.«
    »Wirklich?«
    »Natürlich. Was unterstellen Sie mir denn?«
    »Ach, reden wir nicht lange herum. Beantworten Sie einfach die paar Fragen am Telefon, und dann wird alles gut!«
    »Von wo rufen Sie eigentlich an?«
    »Aus der Provinz.«
    »Die Provinz ist groß!«
    »Wie wahr, wie wahr!«
    »Und modern ist sie auch. ›Die Moderne kommt aus der Provinz.‹«
    »Stopp!«
    »Bitte?«
    »Was sagten Sie da gerade?«
    »Ich sagte, die Moderne kommt immer aus der Provinz. Das wird Ihnen aber nichts sagen, das ist ein Zitat des französischen Dichters …«
    »Jean Nicolas Arthur Rimbaud. Geboren am zwanzigsten Oktober achtzehnvierundfünfzig. In Charleville, Provinzstadt in den Ardennen. Sohn des Infanteriehautpmanns Frédéric Rimbaud, der aus bescheidener Familie aus der Franche-Comté stammte, und der Vitalie Cuif, die aus einer Familie kleinbäuerlicher Grundbesitzer in der Gegen von Vouziers kam.«
    »Verblüffend korrekt.«
    »Ein Vorkämpfer, ein echter Vorkämpfer!«
    »Ja, ich bin auch immer wieder fasziniert von den Gedichten. In ihnen steckt so viel Wagnis und Konsequenz. So viel Wut und Wahrheit. Und dazu noch die Tiefe der Ehrlichkeit und das so hart erarbeitete Talent. Wenn man bedenkt, dass dieser Mann keine Kindheit hatte …«
    »Schweigen Sie! Kein Wort weiter!«
    »Sind Sie wirklich von einem Meinungsforschungsinstitut? Sie klingen – verwirrt. Rufen Sie immer Leute an, um ihnen zu sagen, sie sollen schweigen? Witzig!«
    »Sie lachen über mich?«
    »Wie käme ich dazu? Über Fremde zu lachen, heißt doch, beschränkt zu sein.«
    »Dumm? Beschränkt? Wissen Sie, was bescheuert ist?«
    »Sie werden es mir sagen.«
    »Wenn Sie sich als Frau einbilden, Rimbaud auch nur annähernd verstehen zu können! Dass ist nicht nur dumm und beschränkt, das ist wirklich saudumm!«
    »Verstehe ich nicht. Ich bin Professorin für französische Literatur. Ich verdiene mein Geld damit, Rimbaud zu verstehen.«
    »Nichts verstehen Sie! Gar nichts.«
    »Erklären Sie mir das! – Sofort.«
    »Ach,

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