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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sterbenskalt
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zurück. Das tut keiner.«
    »Ich weiß.
Darum geht's ja gerade. Wie wollen wir sonst je zusammen sein - so richtig? Ich
weiß ja nicht, wie du das siehst, aber ich hab keine Lust, mir die nächsten
zehn Jahre die Brüllerei von meinem Dad anzuhören und mich dauernd von ihm
zusammenscheißen zu lassen, bis er irgendwann kapiert, dass wir glücklich sind.
Ich möchte, dass wir beide was auf die Beine stellen, machen, was wir wollen,
zusammen, ohne dass unsere Eltern uns das Leben schwermachen. Nur wir beide.«
    Die
Beleuchtung verbreitete jetzt einen trüben Unterwasserdunst, und hinter mir
fing ein Mädchen an zu singen, tief und kehlig und kraftvoll. In den langsam
kreisenden Strahlen aus Grün und Gold sah Rosie aus wie eine Meerjungfrau, wie
eine Fata Morgana aus Farbe und Licht; einen kurzen Moment lang wollte ich sie
packen und fest an mich drücken, ehe sie sich zwischen meinen Fingern auflösen
konnte. Sie verschlug mir den Atem. Wir waren noch in dem Alter, in dem
Mädchen etliche Jahre reifer sind als Jungen, und Jungen erwachsener werden,
indem sie ihr Bestes tun, wenn die Mädchen das von ihnen erwarten. Ich hatte
schon als kleines Kind gewusst, dass ich mehr wollte als das, wofür wir nach
Meinung unserer Lehrer bestimmt waren, Fabriken und Schlangestehen im
Arbeitsamt, aber ich war nie auf den Trichter gekommen, dass ich tatsächlich
die Möglichkeit haben könnte, loszuziehen und dieses Mehr aus eigener Kraft zu
erreichen. Ich wusste seit Jahren, dass meine Familie hoffnungslos verkorkst
war und dass jedes Mal, wenn ich mit zusammengebissenen Zähnen die Wohnung
betrat, ein weiteres kleines Stück meiner Seele in Trümmer geschossen wurde.
Aber so erdrückend der Wahnsinn auch wurde, mir war nicht ein einziges Mal in
den Sinn gekommen, dass ich ja einfach gehen konnte. Das erkannte ich erst, als
Rosie von mir erwartete, dass ich zu ihr aufschloss.
    Ich sagte:
»Ich bin dabei.«
    »Jesses,
Francis, nicht so schnell! Du musst dich doch nicht heute Abend entscheiden.
Denk erst mal drüber nach.«
    »Ich hab
nachgedacht.«
    »Aber«,
sagte Rosie nach einem Moment. »Deine Familie. Kannst du so einfach weg?«
    Wir hatten
nie über meine Familie gesprochen. Sie musste so ungefähr Bescheid wissen - der
ganze Faithful Place wusste so ungefähr Bescheid —, aber sie hatte sie kein
einziges Mal erwähnt, und dafür war ich ihr dankbar. Sie sah mir unverwandt in
die Augen.
    Ich hatte
an dem Abend weggehen können, weil ich Shay, der knallhart verhandelte, als
Gegenleistung das ganze nächste Wochenende angeboten hatte. Als ich aus dem
Haus ging, schrie Ma gerade Jackie an, sie wäre eine freche Göre und ihr Dad
würde nur deshalb in den Pub gehen, weil er es in ihrer Nähe nicht mehr
aushielt. Ich sagte: »Du bist jetzt meine Familie.«
    Das
Lächeln begann irgendwo weit hinten, versteckt hinter Rosies Augen. Sie sagte:
»Das bin ich doch sowieso. Auch hier, wenn du nicht weg kannst.«
    »Nein. Du
hast verdammt recht — das heißt, wir müssen hier raus.«
    Das
langsame, breite, wunderbare Lächeln erfasste Rosies ganzes Gesicht. Sie sagte:
»Hast du für den Rest meines Lebens schon was vor?«
    Ich schob
meine Hände über ihre Oberschenkel hinauf zu ihren weichen Hüften und zog sie
auf der Fensterbank näher an mich heran. Sie schlang die Beine um meine Taille
und küsste mich. Sie schmeckte süß von dem Wein und salzig vom Tanzen, und ich
spürte, dass sie noch immer lächelte, an meinem Mund, bis die Musik um uns
herum anschwoll und der Kuss leidenschaftlicher wurde und das Lächeln
verschwand.
    Die
Einzige, die sich nicht in ihre Ma verwandelt hat, sagte
Imeldas Stimme in der Dunkelheit nah an meinem Ohr, rau von Millionen
Zigaretten und einer unendlichen Menge Traurigkeit. Die Einzige,
die den Absprung geschafft hat. Imelda und ich waren beide als
Lügner geboren und aufgewachsen, aber sie hatte nicht gelogen, als sie sagte,
dass sie Rosie furchtbar gern gehabt hatte, und ich hatte nicht gelogen, als
ich sagte, dass sie mit ihr am engsten befreundet gewesen war. Imelda, Gott
stehe ihr bei, hatte es verstanden.

Das
Yuppie-Baby war im geborgenen Schein seines Nachtlichts eingeschlafen. Seine
Ma stand behutsam auf und schlich aus dem Zimmer. Ein Licht nach dem anderen
erlosch auf der Straße: Sallie Hearnes Weihnachtsmänner, der Fernseher der
Dwyers, die Budweiser-Reklame, die schief in der Wohnung der langhaarigen
Studenten hing. Nummer 9 war dunkel, Mandy und Ger hatten sich früh im

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