French, Tana
hatte damit
rechnen müssen, dass sich wenigstens einer von uns eine Fahrkarte für die Fähre
kaufen würde, einfache Fahrt. »Sie hat nie daran gedacht, dass ich tot in irgendeinem
Graben liegen könnte?«
Kevin
schnaubte. »Nee. Sie hat gesagt, jedem könnte was passieren, aber nicht unserem
Francis. Wir haben weder die Bullen gerufen noch dich als vermisst gemeldet
oder so, aber nicht weil ... Nicht weil du uns egal warst. Wir haben einfach
gedacht ...« Die Matratze bewegte sich, als er die Achseln zuckte.
»Dass
Rosie und ich zusammen abgehauen waren.«
»Ja. Ich
meine, jeder wusste doch, wie verrückt ihr nach einander wart, oder? Und jeder
wusste, was Mr Daly von uns hielt. Also warum nicht, verstehst du, was ich
meine?«
»Ja«,
sagte ich. »Warum nicht.«
»Und
außerdem war da ja noch der Brief. Ich glaube, der war der Grund, warum Mrs
Daly so ausgerastet ist: Irgendwer hat sich in Nummer sechzehn rumgetrieben und
den Brief gefunden. Von Rosie. Ich weiß nicht, ob Jackie dir erzählt hat -«
»Ich hab
ihn gelesen«, sagte ich.
Kevins
Kopf wandte sich in meine Richtung. »Ach ja? Du hast ihn gesehen?«
»Ja.«
Er
wartete; ich erklärte nichts weiter. »Wann hast ...? Meinst du, bevor sie ihn
da hingelegt hat? Hat sie ihn dir gezeigt?«
»Danach.
Spät in der Nacht.«
»Und —
was? Sie hat ihn für dich hinterlassen?
Nicht für ihre Familie?«
»Das hab
ich jedenfalls gedacht. Wir wollten uns in der Nacht treffen, sie ist nicht
erschienen, ich hab den Brief gefunden. Ich hab gedacht, er muss für mich
sein.«
Als ich
endlich begriffen hatte, dass sie es ernst meinte, dass sie nicht kommen würde,
weil sie schon weg war, hatte ich meinen Rucksack aufgesetzt und war
losmarschiert. Montagmorgen, kurz vor Tagesanbruch. Die Stadt war frostig und
menschenleer, bloß ich und ein Straßenkehrer und ein paar müde Arbeiter, die
nach der Nachtschicht im eisigen Halbdunkel auf dem Weg nach Hause waren. Auf
der Uhr am Trinity College sah ich, dass die erste Fähre in Dun Laoghaire
ablegte.
Ich
landete schließlich in einem besetzten Haus, in einer Nebenstraße der Baggott
Street, wo ein paar übelriechende Rockmusiker mit einem schielenden Köter
namens Keith Moon und einer eindrucksvollen Menge Hasch lebten. Ich kannte sie
flüchtig von Konzerten. Alle dachten, irgendeiner von ihnen hätte mich
eingeladen, eine Weile bei ihnen zu wohnen. Einer hatte eine nicht so
übelriechende Schwester, die eine Wohnung in Ranelagh hatte und Leuten
erlaubte, ihre Adresse fürs Arbeitslosengeld anzugeben, wenn sie sie mochte,
und wie sich herausstellte, mochte sie mich sehr. Als ich schließlich in meiner
Bewerbung bei der Polizei ihre Adresse angab, war das praktisch schon die
Wahrheit. Es war eine Erleichterung, dass ich genommen wurde und zur Ausbildung
nach Templemore musste. Sie hatte erste Andeutungen in Richtung Heirat gemacht.
Rosie,
dieses Miststück; ich hatte ihr nämlich geglaubt, jedes Wort. Rosie spielte
grundsätzlich keine Spielchen. Sie machte einfach den Mund auf und sagte, was
Sache war, rundheraus, selbst wenn es wehtat. Das war einer der Gründe, warum
ich sie liebte. Wenn man in einer Familie wie der meinen groß geworden ist,
dann war jemand, der nicht log und betrog, ein wahres Wunder. Deshalb glaubte
ich ihr zweiundzwanzig Jahre lang, was sie in dem Brief geschrieben hatte: Ich
schwöre, ich komme irgendwann zurück. Die ganze Zeit über, die ich mit
der Schwester des übelriechenden Rockers schlief, die ganze Zeit über, die ich
lebhafte, hübsche Kurzzeitfreundinnen hatte, die etwas Besseres verdient
gehabt hätten, die ganze Zeit über, die ich mit Olivia verheiratet war und so
tat, als fühlte ich mich in Dalkey wohl, wartete ich darauf, dass Rosie durch
die nächste Tür hereinspaziert kam.
»Und
jetzt?«, fragte Kevin. »Nach heute. Was glaubst du jetzt?«
»Frag mich
nicht«, sagte ich. »Im Augenblick hab ich ehrlich nicht den leisesten
Schimmer, was in Rosies Kopf vorging.«
Er sagte
leise: »Shay glaubt, sie ist tot, weißt du. Und Jackie auch.«
»Ja«,
sagte ich. »Sieht so aus.«
Ich hörte, wie Kevin Luft holte,
als wollte er etwas sagen. Nach einem Augenblick atmete er wieder aus. Ich
sagte: »Was?« Er schüttelte den Kopf. »Was, Kev?«
»Nichts.« Ich wartete.
»Bloß ... Ach, ich weiß nicht.« Er
bewegte sich unruhig auf dem Bett. »Für Shay war das ein schwerer Schlag, dass
du weggegangen bist.«
»Weil wir so dicke Freunde waren,
meinst du?«
»Ich weiß,
ihr
Weitere Kostenlose Bücher