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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sterbenskalt
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sagte:
»Ich schreib dir ein Dankeskärtchen, versprochen. Aber jetzt sag mal: Was war
letztlich der Auslöser?«
    Shay
fragte nicht: Der Auslöser wofür? Diese Art
von Spiel hatten wir längst hinter uns. Er sagte, und in den Winkeln seiner
Stimme steckten noch immer die Überreste jener alten, hilflosen Wut: »Ich hab
immer noch versucht, mit ihr zu reden. So verzweifelt war ich: Ich hab
versucht, ihr zu erklären, wie Dad war. Was für ein Gefühl das war, das
tagtäglich erleben zu müssen. Was er alles machte. Ich wollte bloß, dass sie
mir kurz zuhört. Verstehst du? Einfach mal zuhört.«
    »Und sie
wollte nicht. Menschenskind, was für eine freche Göre.«
    »Sie
wollte einfach gehen. Ich stand in der Tür, sie hat gesagt, ich soll ihr aus
dem Weg gehen, ich hab sie gepackt. Nur damit sie dablieb, irgendwie. Und dann
...« Er schüttelte den Kopf, sein Blick huschte über die Decke. »Ich hatte noch
nie ein Mädchen geschlagen, hatte nie den Impuls. Aber sie hat einfach nicht
ihre verdammte Klappe gehalten, hat einfach nicht aufgehört. Sie hat mit Zähnen
und Klauen gekämpft, das kann ich dir sagen, sie hat ganz schön ausgeteilt. Ich
war voller Kratzer und blauer Flecken, hinterher. Das Miststück hätte mir fast
ein Knie in die Eier gerammt.«
    Ich hatte
vermeintliche Sexgeräusche gehört und dabei in den Himmel gegrinst und an Rosie
gedacht. »Ich wollte bloß, dass sie stillhält und zuhört. Ich hab sie gepackt
und gegen die Wand gestoßen. Eine Sekunde vorher hatte sie mir noch gegen das
Schienbein getreten und versucht, mir die Augen auszukratzen ...«
    Schweigen.
Shay sagte zu den Schatten, die sich in den Ecken sammelten: »Ich hab nie
gewollt, dass es so endet.«
    »Es ist
einfach passiert.«
    »Ja. Es
ist einfach passiert. Als ich gemerkt hab ...«
    Wieder ein
schnelles, ruckartiges Kopfschütteln, wieder Schweigen. Er sagte: »Hinterher.
Als ich halbwegs wieder bei Verstand war. Ich konnte sie nicht da liegen
lassen.«
    Dann kam
der Keller. Shay war stark, aber Rosie war mit Sicherheit schwer gewesen; meine
Gedanken verfingen sich jäh an den Geräuschen, während er sie die Treppe runterschaffte,
Fleisch und Knochen auf Zement. Das Licht einer Taschenlampe, die Brechstange
und die Betonplatte. Shays wildes Atmen und die Ratten, die sich neugierig in
den entferntesten Ecken rührten, blindleuchtende Augen. Die Form ihrer Finger,
locker auf der feuchten Erde gekrümmt.
    Ich sagte:
»Der Abschiedsbrief. Hast du ihre Taschen durchsucht?« Seine Hände, die über
ihren leblosen Körper glitten: Ich hätte ihm mit den Zähnen die Kehle
aufgebissen. Vielleicht wusste er das. Seine Lippe verzog sich entrüstet.
»Wofür hältst du mich eigentlich? Ich hab sie nicht angerührt, nur, um sie
runterzubringen. Der Abschiedsbrief lag im oberen Zimmer auf dem Boden, wo sie
ihn hingelegt hatte — sie war gerade dabei, als ich dazukam. Ich hab ihn
gelesen. Und ich hab mir gedacht, dass der zweite Teil ruhig da liegen bleiben
konnte, falls sich jemand fragte, wo sie hin war. Es kam mir vor wie ...« Ein
tonloses Ausatmen, fast ein Lachen. »Es kam mir vor wie Schicksal. Gott. Ein Zeichen.«
    »Wieso
hast du den ersten Teil behalten?«
    Achselzucken.
»Was sollte ich denn sonst damit machen? Ich hab ihn eingesteckt und wollte ihn
später loswerden. Und dann hab ich gedacht, wer weiß, vielleicht wird er sich
noch mal als nützlich erweisen.«
    »Und das
hat er. Bei Gott, das hat er. Ist dir das auch wie ein Zeichen vorgekommen?«
    Er
überging die Frage. »Du standst noch immer oben an der Straße. Ich hab mir
gedacht, du würdest bestimmt noch ein oder zwei Stunden abwarten und dann
aufgeben. Also bin ich nach Hause.« Dieses langgezogene Rascheln, das sich
durch die Gärten bewegte, während ich wartete und allmählich Angst bekam.
    Ich hätte
Jahre meines Lebens dafür gegeben, ihn so manches zu fragen. Was war das
Letzte gewesen, was sie gesagt hatte; ob ihr bewusst war, was passierte; ob sie
Angst gehabt hatte, Schmerzen, am Ende doch noch versucht hatte, nach mir zu
rufen. Aber selbst wenn es auch nur den Hauch einer Chance gegeben hätte, dass
er darauf antworten würde, ich brachte es nicht über mich.
    Stattdessen
sagte ich: »Du musst ja stinksauer gewesen sein, als ich nicht mehr nach Hause
kam. Ich bin ja dann doch über die Grafton Street rausgekommen. Nicht bis
London, aber weit genug. Überraschung: Du hast mich unterschätzt.«
    Shays Mund
zuckte. »Eher überschätzt. Ich hatte gedacht, wenn

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