French, Tana
Schulbücher und
hübsche Uniformen kaufen und den Abschluss machen konntet.«
»Herrgott«,
brummte Kevin in sein Bier. »Jetzt geht's los.«
»Ohne mich
wärst du heute kein Bulle. Du wärst nichts. Hast du gedacht, ich würde bloß
rumlabern, als ich gesagt hab, ich würde für meine Familie sterben? Ich bin
praktisch gestorben. Ich hab meine Schulausbildung aufgegeben. Ich hab auf jede
Chance verzichtet, die ich hatte.«
Ich zog
eine Braue hoch. »Weil du sonst Uniprofessor geworden wärst? Dass ich nicht
lache. Du hast gar nichts aufgegeben.«
»Ich werde
nie wissen, was ich aufgegeben habe. Auf was hast du denn je verzichtet? Was
hat dir diese Familie je genommen? Nenn mir nur eine Sache. Eine einzige.«
Ich sagte: »Diese Scheißfamilie hat mir Rosie Daly genommen.«
Totenstille.
Die anderen starrten mich alle an. Jackie hatte ihr Glas gehoben und den Mund
halb offen, kurz vor dem Schluck erstarrt. Ich merkte nur langsam, dass ich
aufgestanden war, ein wenig schwankte, und dass ich gerade eben fast geschrien
hatte. Ich sagte: »Von der Schule abgehen ist nichts. Ein paar Schläge sind
nichts. Ich hätte das alles gern in Kauf genommen, sogar darum gebettelt, wenn
ich dafür Rosie nicht verloren hätte. Aber sie ist gegangen.«
Carmel
sagte mit schwacher, fassungsloser Stimme: »Du glaubst, sie hat dich wegen uns verlassen?«
Ich
wusste, dass irgendwas an dem, was ich gesagt hatte, nicht stimmte, dass sich
irgendwas verschoben hatte, aber ich konnte nicht genau sagen, was. Sobald ich
aufgestanden war, hatte der Alkohol mich voll in den Kniekehlen erwischt. Ich
sagte: »Verdammt nochmal, was glaubst du denn, was passiert ist, Carmel? Wir
waren verrückt nacheinander, wahre Liebe bis in alle Ewigkeit, Amen. Wir
wollten heiraten. Wir hatten die Fahrkarten gekauft. Ich schwöre hoch und
heilig, Melly, wir hätten alles getan, einfach alles, um auf dieser großen weiten
Welt zusammen zu sein. Und dann haut sie so einfach von einem
Tag auf den anderen ohne mich ab.«
Die
Stammgäste warfen erste Blicke in unsere Richtung, Gespräche verstummten, doch
ich schaffte es einfach nicht, wieder leiser zu sprechen. Ich bewahre bei jedem
Streit immer den kühlsten Kopf und habe in jedem Pub den niedrigsten Alkoholpegel.
Heute Abend war ich weit vom Kurs abgekommen, und für Korrekturen war es viel
zu spät. »Es gibt nur eins, was zwischendurch passiert ist, weißt du noch, was?
Dad hat sich volllaufen lassen und um zwei Uhr morgens versucht, bei den Dalys
die Haustür einzurennen, und dann habt ihr alle miteinander einen Mordsterz mitten
auf der Straße veranstaltet. Du erinnerst dich an die Nacht, Melly. Die ganze
Straße erinnert sich an die Nacht. Kein Wunder, dass Rosie danach gemacht hat,
dass sie wegkam. Wer will denn schon in so eine Familie einheiraten? Wer will
so ein Blut in den eigenen Kindern?«
Carmel
sagte ganz leise und noch immer völlig ausdruckslos: »Bist du deshalb nie
wieder nach Hause gekommen? Weil du das die ganze Zeit gedacht hast?«
»Wenn Dad
einigermaßen anständig gewesen wäre«, sagte ich. »Wenn er kein Säufer gewesen
wäre oder wenigstens halbwegs unauffällig gesoffen hätte. Wenn Ma nicht Ma
gewesen wäre. Wenn Shay sich nicht jeden Tag in der Woche neuen Ärger
eingehandelt hätte. Wenn wir anders gewesen wären.«
Kevin
sagte verwirrt: »Aber Rosie ist doch gar nicht abgehauen -«
Ich konnte
ihm nicht mehr folgen. Der ganze Tag war plötzlich über mich hereingebrochen,
und vor lauter Erschöpfung hatte ich das Gefühl, als würden meine Beine mit
dem schäbigen Teppichboden verschmelzen. Ich sagte: »Rosie hat mich abserviert,
weil meine Familie ein Haufen Tiere war. Und ich kann's ihr nicht verdenken.«
Jackie
sagte, und ich hörte die Verletzung in ihrer Stimme: »Ach, das stimmt nicht,
Francis. Das ist nicht fair.«
Shay
sagte: »Mit mir hatte Rosie Daly jedenfalls keine Probleme, Kleiner. Das
garantier ich dir.«
Er hatte
sich wieder unter Kontrolle. Er saß jetzt locker zurückgelehnt auf seinem
Stuhl, und das Rot war aus seinen Wangen gewichen. Es war die Art, wie er es
sagte: das arrogante Glimmen in den Augen, das träge kleine Grinsen, das um
seine Mundwinkel spielte. Ich sagte: »Wovon redest du?«
»Sie war
ein nettes Mädchen, die Rosie. Sehr freundlich, sehr umgänglich, oder ist zugänglich das treffendere Wort?«
Ich war
schlagartig nicht mehr müde. Ich sagte: »Statt hier eine Frau in den Dreck zu
ziehen, die nicht da ist, um sich zu wehren, sag
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