French, Tana
Bier.
Carmel
sagte: »Heißt das, dass du dann über dem Laden wohnst?«
Shays
Augen richteten sich auf sie, und irgendetwas Kompliziertes spielte sich
zwischen ihnen ab. »Das heißt es. Ja.«
»Und du
arbeitest Vollzeit. Du kannst dir deine Arbeitszeit nicht mehr einteilen.«
»Melly«,
sagte Shay, deutlich sanfter, »das geht schon in Ordnung. Conaghy gibt den
Laden ja erst in ein paar Monaten auf. Bis dahin ...«
Carmel
holte kurz Luft und nickte, als würde sie sich für irgendetwas wappnen. »Klar«,
sagte sie, fast zu sich selbst, und hob ihr Glas an die Lippen.
»Ehrlich,
mach dir keine Sorgen.«
»Ach nein,
schon gut. Du hast das weiß Gott verdient. So wie du dich in letzter Zeit
verhalten hast, da hab ich einfach gewusst, dass du irgendwas vorhast. Ich hab
bloß nicht ... Ich freu mich für dich. Glückwunsch.«
»Carmel«,
sagte Shay. »Sieh mich an. Würde ich dir das antun?«
»He«,
sagte Jackie. »Was habt ihr denn?«
Shay legte
einen Finger auf Carmels Glas und drückte es nach unten, damit er ihr Gesicht
sehen konnte. Ich hatte ihn noch nie fürsorglich erlebt, und ich fand es sogar
noch beunruhigender als Carmel. »Hör zu. Alle Ärzte haben gesagt, es dauert
nur noch ein paar Monate. Höchstens sechs. Wenn ich den Laden kaufe, ist er
schon im Heim oder sitzt im Rollstuhl oder ist auf jeden Fall zu schwach, um
noch irgendwelchen Schaden anzurichten.«
»Gott
vergebe uns«, sagte Carmel leise. »Dass wir hoffen ...«
Ich sagte:
»Was ist los?«
Sie
wandten sich mir zu und starrten mich an, zwei identische Paare ausdrucksloser
blauer Augen. Es war das erste Mal, dass sie für mich gleich aussahen. Ich
sagte: »Wollt ihr mir sagen, dass Dad Ma noch immer schlägt?«
Ein
rasches Zucken, wie ein Stromstoß, ging einmal um den Tisch herum, ein winziges
Zischen von eingezogenem Atem. »Du kümmerst dich um deinen Kram«, sagte Shay,
»und wir kümmern uns um unseren.«
»Wer hat
dich zum Obergroßmaul ernannt?«
Carmel
sagte: »Wir hätten einfach gern, dass einer in der Nähe ist, mehr nicht. Für
den Fall, dass Dad stürzt ...«
Ich sagte:
»Jackie hat mir erzählt, das hätte aufgehört. Vor Jahren.«
Shay
sagte: »Wie ich gesagt hab, Jackie hat keine Ahnung. Ihr alle hattet nie die
geringste Ahnung. Also haltet euch gefälligst da raus.«
Ich sagte:
»Weißt du was? Es geht mir langsam ein kleines bisschen auf die Nerven, dass du
dich hier aufführst, als wärst du der Einzige, der je von Dad Senge gekriegt
hat.«
Niemand
atmete. Shay lachte, ein tiefer, gehässiger Klang. Er sagte: »Du glaubst, du
hast von ihm Senge gekriegt?«
»Ich kann
dir die Narben zeigen. Du und ich haben im selben Haus gelebt, Alter, schon
vergessen? Der einzige Unterschied ist der, dass ich jetzt ein großer Junge
bin und eine ganze Unterhaltung schaffe, ohne drüber zu jammern.«
»Du hast
nichts abgekriegt. Überhaupt nichts. Und wir haben nicht im selben Haus
gelebt, nicht einen einzigen Tag. Ihr habt wie die Maden im Speck gelebt, du
und Jackie und Kevin, im Vergleich zu dem, was ich und Carmel durchgemacht
haben.«
Ich sagte:
»Erzähl mir bloß nicht, ich wäre glimpflich davongekommen.«
Carmel
versuchte, Shay mit Blicken zu durchbohren, aber er merkte es nicht. Seine
Augen waren starr auf mich gerichtet.
»Verwöhnt
nach Strich und Faden, ihr alle drei. Ihr glaubt, ihr habt es schlecht gehabt?
Von wegen, wir haben nämlich dafür gesorgt, dass ihr nie erfahren musstet, was
schlecht wirklich bedeutet.«
»Wenn du
den Barmann um ein Maßband bittest«, sagte ich, »können wir gern vergleichen,
wer die größeren Narben hat oder den größeren Schwanz oder weshalb auch immer
du dich künstlich aufregst. Ansonsten verläuft unser Abend erheblich
angenehmer, wenn du deinen Märtyrerkomplex für dich behältst und mir nicht
erzählst, was ich für ein Leben hatte.«
»Witzig.
Du hast dich schon immer für schlauer als der Rest der Welt gehalten, nicht?«
»Nur für
schlauer als du, mein Lieber. Ich halte mich bloß an die Fakten.«
»Wieso
denkst du, du wärst schlauer? Bloß weil ich und Carmel mit sechzehn von der
Schule runter sind? Hast du gedacht, wir wären zu blöd, um den Abschluss zu
schaffen?« Shay saß jetzt vorgebeugt, die Hände zu Fäusten geballt auf der
Tischkante, und eine fleckige, fiebrige Röte stieg ihm in die Wangen. »Wir sind
von der Schule runter, um Geld nach Hause zu bringen, als Dad keine Arbeit mehr
hatte. Damit ihr was zu essen gekriegt hab. Damit ihr drei euch
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