Frettnapf: Roman
Hochzeitsmesse
»Allein im Januar 2013 fanden in über 100 verschiedenen deutschen Städten Hochzeitsmessen statt.«
Ich stehe auf der Sonnenseite des Lebens im Schatten und sehe schon die nächsten Wolken aufziehen. Weil ich so dämlich bin und mit meiner Verlobten gerade über die » Marry Me!«-Messe laufe, obwohl ich es hätte besser wissen müssen. Ich kenne mich mit Verbrauchermessen aus, im vergangenen Jahr habe ich selbst auf der hier gearbeitet. Und schon da ist mir aufgefallen, dass auf der » Marry Me!« mehr voreheliche Trennungen vollzogen werden als sonst wo, denn hier werden alle entscheidenden Fragen beantwortet, die in einer Ehe aufkommen können: Was ist man dem anderen wert? Welche geschmacklichen Abgründe hält der Partner verborgen? Und warum macht man eigentlich genau den gleichen Scheiß wie all die hässlichen Menschen um einen herum?
Wer mit seinem Lebensgefährten nach einem Tag hier glücklich nach Hause fährt, steuert einer langen und erfüllten Ehe entgegen. Alle anderen werden es schwer haben. Sehr schwer. Ich selbst habe beim letzten Mal sündhaft teure Eheringe angepriesen; sie werden aus einem einzigen Goldnugget gegossen, der ein paar Milliarden Jahre in der australischen Erde nur auf diesen einen wunderbaren Moment gewartet hat. Während diese Vorstellung den Bräuten regelmäßig den ultimativen Romantikkick gab, glitt bei ihren Gatten in spe der Blick immer nur auf die Preistafel unserer Beispielnuggets, und von dort aus zum nächsten Stand, wo ein Spaßanbieter Plastik-Eheringe zum Wegwerfen ausstellte. Es war mir eine Freude, die Männer laut um ihre Aufmerksamkeit zu bitten, da ich so den Damen an ihrer Seite erst richtig klarmachen konnte, wie billig sich ihr Partner aus der Affäre ziehen wollte. Immerhin, fügte ich in jedes Gespräch ein, gibt es ja in den USA das ungeschriebene Gesetz, dass allein der Verlobungsring in etwa dem Wert von drei Monatsgehältern entsprechen sollte. Dabei fiel den Herren meistens die Kinnlade nach unten, während die Damen bestätigend nickten. Der dezente Hinweis, dass man sich natürlich auch diese Wegwerf-Ringe von nebenan kaufen könne, garniert mit der pointierten Feststellung, dass unsere Produkte dagegen nun einmal für die einzig wahre, große Liebe gedacht seien, reichte in den meisten Fällen für eine wunderbare Eskalation direkt vor meinen Augen.
Da dieses Jahr beide Stände nicht mehr auf der Messe zu finden sind, gehe ich davon aus, dass sich sowohl das 5000-Euro-Goldklumpen-Konzept als auch der Wegwerf-Ring nicht durchsetzen konnten. Allerdings traue ich mich nicht, Jessi zu fragen, welche der beiden Ideen ihr eher zugesagt hätte, da sie schon den ganzen Tag etwas gereizt ist. Eheschlusspanik.
Ich kenne meine Verlobte inzwischen ganz gut, auch wenn das vielleicht eine etwas magere Aussage über die Frau ist, der man in wenigen Wochen sein Jawort geben möchte. Wir sind uns zwar erst vor knapp sieben Monaten das erste Mal begegnet, doch Jessi ist bereits im sechsten Monat schwanger. Die Hochzeit haben wir in einer alkoholfreien Schnapslaune auf ihre Initiative hin beschlossen, um uns den ganzen Sorgerechtsschmarrn zu schenken. Das könnte in unserem Fall nämlich interessant werden, weil das Kind, das in meiner schönen Freundin wächst, nicht von mir, sondern von meinem ehemaligen WG -Mitbewohner Sven stammt, mit dem sie ein Mal versehentlich geschlafen hat– sie war bei der Empfängnis schwer bekifft und dachte, dass ich es bin, der gerade auf ihr herumturnt. Am Ende war das dann aber auch vollkommen egal, denn wir lieben uns, und ich habe die Vaterschaft zu Svens Erleichterung sofort akzeptiert. Immerhin habe ich ein paar Wochen nach ihm ebenfalls mit ihr geschlafen und könnte somit rein theoretisch auch der Vater sein. Nur eben praktisch, mathematisch und biologisch nicht. Nebensächlichkeiten.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nicht ganz verstehe, was Jessi in mir sieht. Muss ich aber vermutlich auch nicht, denn ich bin seit einem halben Jahr so glücklich wie noch nie in meinem Leben. Sie ist nämlich nicht nur einfach sensationell, sondern auch alles um sie herum– egal, was sie macht, erzählt, erlebt oder kreiert, ich bin davon begeistert. Es gibt nichts, was ich nicht an ihr liebe. Würde mir ein Idiot ein Hemd aus den Flusen aus Jessis Bauchnabel anfertigen– ich würde es, ohne mit der Wimper oder Nase zu zucken, tragen.
» Würdest du ein Hochzeitskleid anziehen, das aus den Flusen genäht
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