Frettnapf: Roman
selbstbetrügerischen Schutzhülle, die ich um mein Ich herum errichtet habe. In den geschätzten zehn Minuten, die ich mit dieser offenen Tür zu meinem Innersten verbringe, entscheidet sich jedes Mal, wie der Abend verlaufen wird. Kriege ich mich wieder ein und kann die Pforte erfolgreich wieder schließen, wird die Nacht lang, feucht und fröhlich. Gelingt es mir nicht, mich erneut in den Kokon aus halbseidenen Selbstrechtfertigungen zurückzuziehen, wird sie lang, feucht und düster.
» Andere nehmen für so eine Vermittlung Provision«, setzt Sven noch nach.
» Ja, und dafür werden sie von allen zu Recht gehasst«, erwidere ich. » Makler, Agenten und Zeitarbeitsvermittler sind eine nutzlose Pest, Beziehungsparasiten, die sich zwischen Geschäftspartner drängen und auf ihre Kosten leben, ohne irgendwas beizutragen.«
Ich kann erkennen, dass Sven erwägt, korrigierend auf meine verhärtete Perspektive einzuwirken, da sich seine Augen nach rechts oben bewegen, ein deutliches Anzeichen dafür, dass mein Gegenüber grübelt. Doch mit einem kurzen Kopfwackeln entscheidet er sich dann dafür, mich vorerst genug gequält zu haben und den Abend aufblühen zu lassen.
» Einen Tipp hab ich aber noch«, beendet er unser Krisengespräch. » Sei einfach mal vollkommen ehrlich. Zu dir, zu Jessi und… äh, reicht eigentlich. Zu Jessi und zu dir.«
» Mach ich. Ist vielleicht wirklich nicht dumm.«
Ich hebe mein Glas, und Sven prostet mir zu: » Ex oder Arschloch.« Weil ich den Spruch seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gehört habe, lächle ich und entscheide mich für Ex. Damit ist das Selbstzweifelintermezzo beendet, die sechste Halbe kann kommen, der Abend wird eine fröhliche Party.
Spirituosenmesse
»Im Eintritt zur Finest Spirits sind ein Nosing-Glas und vierVerkostungsgutscheine à 1 cl enthalten.«
Viele meiner Bekannten behaupten, dass sie das eigene Älterwerden daran spüren, dass sie länger brauchen, um sich von einer durchsoffenen Nacht zu erholen. Ich hingegen habe schon mit siebzehn den einem Vollrausch folgenden Tag komplett knicken können. Das ist so geblieben, und ich weiß trotzdem, dass ich ein alter Mann bin. Ich bin kurz vor der großen Vierzig, dem schlimmsten Jahrzehnt, das man durchleben muss. Man ist noch zu jung, um schon etwas zu bedeuten, aber zu alt, um noch was zu reißen. Man ist einfach nur ein bedeutungsloses Rad in der Maschinerie, das seinen Beitrag leisten und die Schnauze halten soll.
Leider war mein bisheriger Beitrag äußerst gering, und mit dem Schädel, den ich heute habe, werde ich auch nicht unbedingt auf die zündende Idee kommen, wie ich das ändern kann. Schuld sind diese verdammten Long Drinks im Atomic. Man hat ja in jedem Club einen Platz, der wie für einen geschaffen ist. In der Bongo Bar war’s die kleine runde Tanzfläche vorne rechts, im K41 die Ecke der Cocktailbar vor dem Damenklo und in der Babalu Bar das Plüschsofa bei der großen Lavalampe. Im Atomic ist es die kleinere Bar im Halbseparee, wo es unschicklich ist, Bier zu bestellen. Das bilde ich mir jedenfalls seit meinem ersten Besuch dort ein, der nun auch schon gut zwanzig Jahre zurückliegen dürfte.
Der einzige Unterschied zu damals besteht darin, dass die anderen Gäste gemeinsam mit den Türstehern vor ein paar Jahren über Nacht eine Generation jünger geworden sind und ich mich entsprechend fehl im Nachtleben fühle. Ihre Blicke verraten mir, dass ich nicht mehr zu ihnen gehöre, einer hat mich sogar mal gefragt, ob ich ein Zivilbulle sei, worauf ich einfach gegangen bin. So beschissen ziehe ich mich auch wieder nicht an. Jedenfalls jetzt noch nicht.
» Eine Flasche Bombay Sapphire und eine Ladung Tonics«, ordert Sven, und ich habe dem nichts entgegenzusetzen, obwohl ich gerne mal wüsste, ob es der Gin oder das Tonic ist, wovon ich beim ersten Schluck immer Sodbrennen bekomme. Die andere unerwünschte Nebenwirkung beim Konsum von Gin Tonic ist bei mir eine leichte Aggressivität, die ich sonst gar nicht von mir kenne.
» Deine Tochter entwickelt sich übrigens gut«, erzähle ich Sven, um nicht nur schweigend neben ihm an meinem Drink zu nuckeln. Für einen Moment ist er irritiert.
» Ach, stimmt, die ist ja eigentlich von mir«, erinnert er sich dann. » Hey, nicht dass die noch bei mir antanzt wegen Unterhalt oder so, krieg das mal bitte schnell wieder geregelt, ja?«
» Nee, mach dir mal keine Sorgen. Jessis Vater ist so oder so ganz gut betucht, und weil ich ja offiziell der
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