Frettnapf: Roman
wurde, die ich in meinem Bauchnabel habe?«, frage ich sie spontan und mit einer gewissen Emphase, da mir der Gedanke einen angenehmen Schauer über den Rücken jagt.
» Wie viele Flusen hast du denn da drin?«
» Für so ’n Kleid reicht das locker.«
» Wenn die Alternative die Kleider hier sind, ja.«
Ich wusste es– sie liebt mich genauso wie ich sie. Wobei die Brautmode vor Ort wirklich direkt aus der Tüllhölle geliefert worden sein muss. Genau wie die Hochzeitstorten, auf die wir gerade zusteuern und die Jessi offenbar den Rest geben.
» Kein Wunder, dass ich auf den meisten Hochzeiten das kalte Kotzen bekomme, hier wird ja ausschließlich kitschiger Schrott angeboten«, fasst sie ihr bisheriges Messeerlebnis treffend zusammen. » Allein schon so eine Torte wäre für mich ein Scheidungsgrund.«
Ich kann nicht genau sagen, was just an diesem Ausstellungsstück so schrecklich sein soll, nicke aber brav, da ich vorhin schon von ihr zusammengestaucht wurde, als ich ein Kleid mit » okay« bewertet hatte, das sie nicht mal tot anziehen würde. Selbst meine gemurmelte Antwort, dass wir das ja bei ihrer Beerdigung sehen würden, begleitet vom demonstrativen Einstecken einer Visitenkarte des Anbieters, konnte sie in ihrer Empörung über meinen miserablen Geschmack in Sachen Brautmode nicht bremsen. Seitdem äußere ich nur noch Zustimmendes, egal, was Jessi sagt.
» Vielleicht war’s einfach ’ne Kackidee, hierherzukommen.«
» Stimmt, aber dann muss ich mich schon fragen, warum du es überhaupt vorgeschlagen hast.«
» Na ja, es ist Sonntag, und draußen liegt Schneematsch…«
» Und ich bin zu fett, um irgendwas anderes zu machen, oder?«
» Quatsch. Aber zu Hause rumsitzen ist doch auch Mist.«
» Zum Glück hat das mit dem Gekotze aufgehört, sonst…« Sie bricht mitten im Satz ab.
» Sonst was?«
» Ist dir eigentlich aufgefallen, dass ich ständig Drohungen ausspreche?«
» Nicht ständig.«
» Aber oft?«
» Ich mach’s dir ja auch nicht leicht«, setze ich schnell nach, um präventiv zu schlichten.
» Entschuldige. Ich weiß auch nicht… Das müssen die Hormone sein.«
» Bei mir oder bei dir? Weil, also, meine, die sind Schrott und werden es auch bleiben.«
Wenigstens habe ich die Gabe nicht verloren, Jessi zum Lächeln zu bringen, wenngleich seit ein paar Tagen eine Traurigkeit darin zum Vorschein kommt, eine schwermütige Nachdenklichkeit, die ich von Jessi so gar nicht kenne. Mein Rezept dagegen ist die von mir erfundene subtile Passivprokrastination– ich lenke sie einfach ab. Das beherrsche ich inzwischen wie kein Zweiter.
» Pass auf: Wir tun einfach so, als wollten wir die beschissenste Hochzeit der Welt feiern und gehen nur noch an die Stände, die uns diesem Traum ein Stück näherbringen. Vielleicht kommen wir so drauf, wie wir am liebsten feiern wollen. Per Ausschlussverfahren sozusagen.«
» Das ist der erste vernünftige Satz, den du heute von dir gegeben hast. Obwohl ich eigentlich die gesamte Messe ausschließe.«
Trotz ihrer Ablehnung gegen alles und jeden hier leuchten Jessis Augen wieder. Im Sommer haben wir mal was Ähnliches gemacht, als wir in der Innenstadt einen Herrenausstatter mit pervers hässlichen Strickwaren besucht und großes Interesse an einem Siebenhundert-Euro-Kaschmirpulli vorgetäuscht haben, dessen Muster als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt gehört hätte.
Sie nimmt meine Hand und zerrt mich fröhlich durch die restlichen zwei Hallen. Wir verneigen uns vor der Filmkunst eines Hochzeitsvideo-Spezialisten, dessen Demovideo durch ein Feuerwerk an Überblendeffekten besticht, versuchen einem Fotografen, der in den 80-ern stehen geblieben ist, Fotos anderer Paare abzukaufen, und lassen uns die schrecklichsten Glitzervisitenkarten der schlechtesten Papeteristen Deutschlands geben. Einem ernsthaft traurigen Clown schenken wir mit dem Angebot neue Hoffnung, bei unserer angeblich geplanten Megasause auf den Malediven sein erbärmliches Programm zum Besten geben zu dürfen, melden uns zu drei Gratis-Testabendessen in Hotelrestaurants im Münchner Umland an und heucheln großes Interesse an Brautmode für Hunde. Schließlich saufe ich mich bei der feinsten Auswahl deutscher Spitzenweine einmal den Rhein hoch und kurz darauf die Deutsche Weinstraße wieder herunter, bis wir schlussendlich in der Eingangshalle sitzen und die Paare beim Verlassen des Messegeländes beobachten. Man kann genau erkennen, wer mit diesem durchschnittlichen
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