Frettnapf: Roman
Zeit.«
» Witzig.«
» Hast du mit dem eigentlich noch Kontakt?«
Sven nickt. Hondo ist ein gemeinsamer Bekannter, bei dem ich im vergangenen Sommer ein Praktikum als Dopingmittel-Verteiler im Freibad absolviert habe. Ich hatte Schulden bei ihm, die ich abarbeiten musste, da der muskulöse Balkanhühne nicht der Typ ist, dem man Geld schulden möchte.
» Und? Was macht er?«
» Türsteher. Bei Armani. Damit die Tüten beim Shoppen nicht gestört werden.«
» Tüten?«
» Ja, die verschleierten Tussen aus Dubai und so.«
» Und warum Tüten?«
» Weil die immer mindestens fünf Tüten rumschleppen. Außerdem sind sie ja selbst auch irgendwie eingetütet.«
» Ist was dran.«
» Am lustigsten finde ich die mit so ’nem Bronze- oder Goldteil vor dem Mund. Die schauen aus wie vermummte Eishockeyspieler.«
Ich hätte gleich ahnen können, dass mich ein Absturz mit meinem ehemaligen Mitbewohner nicht bereichern würde, was die Analyse meiner aktuellen Beziehungssituation betrifft. Auf der anderen Seite habe ich mir nach Jessis Ansage auch einen Abend Ablenkung verdient.
» Aber wer sagt eigentlich, dass du das ernst nehmen musst?«, beendet Sven überraschend seine Tütenabschweifung.
» Ich. Ist doch klar, dass ich der Grund für die ganze Scheiße bin.«
» Wieso?«
» Weil ich meinen Kram nicht auf die Reihe bekomme. Weil ich nichts hinkriege und deswegen genauso verunsichert bin wie sie.«
» Du verunsicherst dich selbst?«
» Ja. In gewisser Weise.«
Das muss Sven erst mal sacken lassen. Er schüttelt seinen Kopf in Unverständnis, nimmt einen großen Schluck Bier und stellt sein Glas ab, aber nur um es gleich wieder zu nehmen und es in einem Zug zu leeren. Ich sehe ihn die ganze Zeit erwartungsvoll an, ganz so, als würde er mir gleich versichern, dass ich mir keinen Kopf machen muss, weil ich in Wirklichkeit alles im Griff habe. Ich bin richtig erpicht auf seine freundschaftliche Lüge, auf sein verbales Schulterklopfen, ein paar Worte, die mich und meinen plötzlichen Wahn, ein Versager zu sein, wieder ins rechte Licht rücken.
» Ich kann sie ja verstehen«, antwortet er stattdessen und ordert ein weiteres Bier. » Immerhin lässt du dich von jedem Mist sofort ablenken und bekommst wirklich nichts auf die Reihe.«
» Das sagt der Richtige«, erwidere ich trotzig.
» Wer soll es dir denn sonst sagen? Wenn ich dich fragen würde, was du in den vergangenen, na, sagen wir, vier Tagen Produktives geleistet hast, würdest du mich in eine Diskussion darüber verwickeln, was genau ich mit produktiv meine.«
» Stimmt doch gar nicht.«
» Okay. Dann sag’s mir.«
» Na ja, das ist nicht so einfach zu beantworten, weil ich ja gerade quasi…«
» Siehst du. Null. Stattdessen hast du garantiert die meiste Zeit im Internet verbracht.«
Sven kennt mich zu gut, und ich befürchte, dass Jessi in den vergangenen Monaten ein ähnliches Bild von mir gewonnen hat. Insofern kann ich Sven gut als Testperson verwenden und mit ihm das diskutieren, was mir Jessi eventuell vorwerfen könnte.
» Das stimmt so nicht«, sage ich folglich. » Ich muss schließlich für meine Moderationen immer auf dem Stand aller Entwicklungen sein.«
» Ach, und das kann man bei den verschiedenen Flash-Game-Anbietern nachlesen?«
» Nein, in den Blogs.«
» Und welche Blogs checkst du da so?«
» Ja, ich schau halt auch bei Facebook.«
» Du bist da Mitglied?«
» Ey, doch nur, weil du da ein Profil auf meinen Namen eingerichtet hast, um deine bescheuerte Ex-Freundin zu finden.«
» Hättest es ja löschen können.«
» Leck mich, Sven. Außerdem ist es sehr gut zum Netzwerken. Erst gestern hab ich auf die Art wieder eine Anfrage für die electronica-Messe bekommen.«
» Dann solltest du mir dankbar sein!«
» Nee, da hab ich schon einen Kunden, aber ich hab die Adresse an einen Bekannten vermittelt, der auch bei Facebook ist und mir jetzt einen Gefallen schuldet.«
» Dann frag den doch, ob er nicht dein Leben für dich neu ordnen könnte.«
» Oder ob er ’nen Plan hat, was man machen kann, wenn man alt wird und nichts gelernt hat«, versuche ich resigniert die Diskussion zu beenden. Sie führt zu nichts, es ist nicht mal eine richtige Diskussion, nur mein erbärmlicher Versuch, mich und meine kaputte Arbeitsmoral zu rechtfertigen. Außerdem zieht mich das Bier inzwischen runter. Das passiert regelmäßig zwischen der vierten und fünften Halben. Die ersten drei öffnen wohl eine Art Ehrlichkeitspforte in der
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