Frettnapf: Roman
deshalb um das Kind kümmern, damit ich nicht am Computer sitzen muss.
Das hilft schon mal die Prämissen meiner beruflichen Bestimmung abzustecken, denn das lädierte Lungern am Vormittag hat mir wenigstens die Erkenntnis beschert, dass mein derzeitiges Einkommenspotenzial in den kommenden Jahren rapide sinken könnte. Ein Potenzial, das ich in der Vergangenheit leider auch nicht voll ausgeschöpft habe, weshalb ich auch auf keinerlei Ersparnisse oder Anlagen zurückgreifen kann. Mir schwant, dass Jessi sich dessen ebenso bewusst ist und ihre durch die Schwangerschaft gewachsene Zukunftsangst vermutlich stark damit zusammen hängt. Um bei unserem nächsten Gespräch die alte Sicherheit und das Vertrauen in mich wiederherzustellen, muss ich also nur einen beruflichen Fünf-Jahres-Plan entwerfen. Vielleicht ist es ganz gut, dass ich das in aller Ruhe und ohne sie machen kann.
Ein Job, für den ich jeden Tag ein paar Stunden lang das Haus verlassen muss, ist Pflicht. Aber bloß nichts mit Medien, diesen Schwur habe ich nach meiner Zeit beim Radio geleistet, wobei Radio selbst das einzige Medium wäre, bei dem ich eine Ausnahme machen würde. Allerdings natürlich keine Werbung, kein Fernsehen, kein Film. Die Menschen, die sich das antun, sind noch gestörter als Betriebswirte, Berater und Businesskasperl. Ich habe mich 1998 mal bei einer Werbeagentur beworben und sollte dann einen Testbogen mit Deppenaufgaben ausfüllen: » Zur diesjährigen Loveparade werden bis zu eine Million Besucher in Berlin erwartet. Entwirf ein Schild, das die Menschen davon abhält, in den Tiergarten zu pinkeln!«
Mein Ergebnis war weder originell noch hilfreich, hieß es in dem Antwortschreiben der Agentur, ja vielmehr unverständlich, verwirrend, die Idee nicht klar, nicht punchy, was auch immer das bedeuten sollte. Dennoch hieß es, ich könne als Junior-Praktikant anfangen und ein halbes Jahr für kein Gehalt in der Agentur arbeiten, mindestens vierzehn Stunden am Tag, Wochenenden inklusive. Das fand ich eher unrentabel und habe die Finger davon gelassen.
Kurz darauf habe ich bei einer Fernsehproduktionsfirma für zwei Wochen Kaffee gekocht, was ich immer als Metapher für zu erledigende Depperljobs verstanden hatte. Erwartet hatte ich zunächst simple Kopierarbeiten, aber auch eine Einführung in die Grundlagen der Filmproduktion, vielleicht etwas über Kameras, Setbau, Drehplanung, den ganzen Schmarrn halt. Gemacht habe ich Cappuccino, Latte macchiato, Milchkaffee und für die Isa aus der Buchhaltung immer nur Tee, meine Güte, so schwer kann das ja nicht sein. Möglicherweise war die Firma einfach Schrott, da man aber ständig am Produzieren war, schloss ich, dass es in allen anderen Filmproduktionen ähnlich zuging, und verließ diese Spielwiese, um die erworbenen Kenntnisse sinnvoller einzusetzen: hinter dem Tresen eines kleinen Cafés.
Nur beim Radio war es cool. Alle wussten, dass sie zu hässlich für einen Job vor der Kamera waren, und redeten gar nicht erst darüber. Ab und an kam ein Volontär oder Praktikant, der sofort weiter zu ProSieben oder eigentlich zum Bayerischen Rundfunk wollte, was stets belächelt, im Erfolgsfall aber totgeschwiegen wurde. Als Moderator konnte man sich damals mit einer selbst gemachten Kassette bewerben. Wenn man nicht komplett neben der Spur lag, wurde einem gestattet, im freien der zwei Sendestudios am Abend Testsendungen zu produzieren, bis man reif für » on air« war.
Ich hatte dabei nur ein Problem: Ich war fünfundzwanzig und hatte nichts zu erzählen.
In den seither vergangenen dreizehn Jahren habe ich ein bisschen was von der Welt gesehen, mir zum Teil relativ feste Meinungen gebildet und auch das ein oder andere verstanden. All meine Probleme habe ich aus eigenen Stücken gelöst, vermutlich habe ich tatsächlich so etwas wie Lebenserfahrung gesammelt. Wenn man mich nicht sieht, kann man mich auch noch für nah genug an der aktuell coolen Generation halten, sodass ich mir zutrauen würde, endlich über den Äther zu ihr zu sprechen.
In der folgenden halben Stunde vor meinem Computer scanne ich die Münchner Radiostationen und komme zu dem festen Entschluss, morgen bei Hip FM anzurufen, vielleicht kann ich da ja mal vorsprechen. Ein top Plan, stelle ich selbstzufrieden fest, als ich eine mir sehr gut bekannte Stimme aus der Küche höre: » Hey, Pisser, hast du kein Kaffee im Haus? Ich werd noch meschugge hier!«
Hondo. Mit seiner Hilfe gelingt es mir, den Rest des gestrigen Abends
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