Frettnapf: Roman
ich meinen Monolog beende, währenddessen ich Jessis Blicken tunlichst ausgewichen bin, bemerke ich, dass bei ihr schon wieder die Tränen laufen. Es müssen Freudentränen sein, singt Bobby Solo in meinem Kopf, und vor Erleichterung lache ich kurz auf. Sie hat mich verstanden, vergibt mir, es wird alles gut. Ich stehe auf, will Jessi umarmen, mein Weiterentwicklungsgelübde mit einem Kuss besiegeln, doch sie drückt mich von sich.
» Nein. Lass mich.«
Mit dieser Reaktion habe ich nicht gerechnet. Meine männliche Logik hatte eigentlich prognostiziert, dass uns alles, was ich gerade gesagt habe, wieder vereinen würde. Dass mein Geständnis und das schonungslose Offenlegen meiner Schwächen, zusammen mit dem wilden Entschluss, nun all das zu ändern, die alte Verbundenheit wieder aufkeimen lassen würde. Dass männliche Logik im Umgang mit Frauen völlig wertlos ist, hatte ich leider nicht bedacht. Also bin ich gezwungen, nachzufragen, was denn los ist.
» Gute Frage. Aber…« Jessi stockt. » Hast du gedacht, dass ich dich verlassen will?«
Ich nicke.
» Warum?«
» Weil ich so bin, wie ich es gerade beschrieben habe.«
» Aber so kenne ich dich gar nicht. Du sagst doch immer, dass alles in Ordnung ist. Dass ich mir keine Sorgen machen muss. Und jetzt erklärst du mir, dass das alles gelogen war?«
» Ja, nee, gelogen würde ich jetzt nicht sagen.«
» Mir ist die Decke auf den Kopf gefallen, und jetzt reißt du das Haus ein! Ich hab dir doch erklärt, dass ich ein Problem mit mir habe und dich liebe. Wie kommst du da drauf, dass ich mich von dir trennen will? Vertraust du mir überhaupt?«
Ich weiß keine Antwort. Gut, ich habe vielleicht etwas überreagiert. Aber das muss doch erlaubt sein. Man hört ständig von Paaren, die kurz vor der Hochzeit kalte Füße bekommen. Oder zumindest ein Teil. Und natürlich vertraue ich Jessi. Mehr als mir zumindest.
» Echt, wenn du Panik hast, dass ich dich nicht gut genug kenne und eines Tages enttäuscht vor dir stehen werde, um einen Schlussstrich zu ziehen, dann stimmt was mit deinem Vertrauen nicht, Jens. Und dein Ausbruch gerade hat jetzt auch nicht gerade mein Vertrauen in dich gestärkt.«
» Jetzt häng dich doch nicht am Vertrauen auf. Ich habe mich gerade extrem verletzbar gemacht, indem ich dir meine Ängste verraten habe. Und nichts anderes ist Vertrauen.«
» Aber nicht, wenn du damit meine Vertrauensgrundlage komplett zerstörst.«
Wenn ich in meinen ganzen Beziehungen eins gelernt habe, dann ist es, dass Vertrauen gerade von Frauen extrem hoch angesehen und viel zu leicht zerstört wird. Was immer wieder zu Problemen führt, da man sich auf der einen Seite nie zu sicher sein darf, nicht verlassen zu werden, auf der anderen aber hart abgestraft wird, wenn man die Möglichkeit nicht kategorisch ausschließt. Könnte mal wieder ein Catch-22 sein. Mir fehlt jedoch die Zeit, mich gedanklich damit auseinanderzusetzen. Grundsätzlich ist es jedenfalls so, dass ein Mann die Vertrauenskeule gegen seine Frau nur auspackt, wenn er absolut nicht mehr weiter weiß.
» Und jetzt?«, frage ich und ahne schon, was nun auf mich zukommt.
» Ich denke, dass es das Beste ist, wenn wir beide noch mal in uns gehen. Wenn du so große Zweifel hast, ob du mit der neuen Situation zurechtkommst, ist es bestimmt das Beste, in Ruhe darüber nachzudenken.«
» Nee, Quatsch. Ich pack das schon. Ich hab gerade bloß ein bisschen übertrieben«, wehre ich mich halbherzig gegen eine Verlängerung des Trennungszustands.
» Und deswegen wirst du es auch packen, für eine Woche oder so mal allein zu sein und dir genau zu überlegen, wie du deinen Scheiß auf die Reihe kriegst.«
Womit besiegelt ist, dass ich für eine Woche unsere Wohnung verlasse. Ich kann Jessi schließlich nicht zumuten, weiter bei ihrer Freundin zu übernachten. Und ich will auch nicht, dass sie irgendwo anders ist, denn hier wird sie ständig an mich erinnert. Immerhin war das meine Wohnung, die erst mit ihren Möbeln angereichert zu unserer geworden ist. Außerdem kann ich so bestimmen, wann ich Jessi sehe. Ich muss nur behaupten, irgendwelche Dinge zu brauchen, meinen Ausweis vergessen zu haben oder ein altes Zeugnis zu suchen.
» Bitte denk an alle Sachen, die wichtig sind, weil die ganze Übung sinnlos ist, wenn du hier jeden zweiten Tag antanzt.«
» Klar. Bin ja nicht blöd. Ausweis, Zeugnisse, Laptop, kann alles mit.«
» Was für Zeugnisse?«
» Abi?«
» Willst du dich an der Uni
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