Freu dich des Lebens
und habe mich beschämt daneben hingekniet.
Das ist ein schwaches Bekenntnis; ich weiß, du würdest nicht verstehen, was ich meine, wenn ich dir all das bei Tageslicht erzählen würde. Doch von morgen an werde ich ein richtiger Daddy zu dir sein. Wir werden Freunde werden, und ich werde mit dir traurig sein, wenn du traurig bist, und mit dir lachen, wenn du lachst. Eher werde ich mir die Zunge abbeißen, als ein vorwurfsvolles Wort aus meinem Mund zu lassen. Und immerzu werde ich mir sagen: ›Er ist ja noch ein Junge , nichts als ein kleiner Junge!‹ Ich fürchte, ich habe dich als Mann gesehen. Doch wenn ich dich jetzt anschaue, wie du müde in deinem Bettchen liegst, dann sehe ich, dass du noch ein kleines Kind bist. Erst gestern noch trug dich deine Mutter auf dem Arm, und dein Köpfchen lag an ihrer Schulter. Ich habe zuviel von dir verlangt, viel zuviel.«
Anstatt die Menschen zu verurteilen, sollten wir besser versuchen, sie zu verstehen. Versuchen herauszufinden, warum sie so und nicht anders handeln. Das ist vermutlich einträglicher und interessanter als Kritik. Dadurch schaffen wir eine Atmosphäre der Sympathie, Nachsicht und Güte. » Alles verstehen heißt alles verzeihen.«
Gott selbst wartet mit seinem Urteil über den Menschen bis zum letzten Tag. Warum sollten wir es da anders halten?
Kritisieren, tadeln und verurteilen Sie andere nicht.
2. Die hohe Kunst, Menschen richtig zu behandeln
Haben Sie je darüber nachgedacht, dass es auf der Welt nur einen Weg gibt, einen Menschen dazu zu bringen, etwas Bestimmtes zu tun? Man muss erreichen, dass er es selber tun will! Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.
Natürlich können Sie jemandem den Revolver auf die Brust setzen und ihn zwingen, Ihnen seine Uhr herauszugeben. Sie können Ihren Angestellten zur Arbeit zwingen, indem Sie ihm mit Entlassung drohen. Sie können ein Kind mit Schlägen oder Strafen zu Gehorsam zwingen. Aber diese unsanften Holzhammermethoden haben höchst unerfreuliche Rückwirkungen.
Es gibt keinen anderen Weg, jemanden dazu zu bringen, dass er tut, was wir wünschen, als dass man ihm gibt, was er wünscht.
Was aber ist das?
Sigmund Freud sagte, dass alles, was wir tun, zwei Motive hat: den Sexualtrieb und das Verlangen nach persönlicher Geltung.
Professor John Dewey, einer der größten Philosophen Amerikas, drückt sich ein bisschen anders aus: »Der stärkste Trieb in der menschlichen Natur ist der Wunsch, bedeutend zu sein.« Vergessen Sie diesen Satz nicht, er ist sehr wichtig, und wir werden in diesem Buch immer wieder darauf zurückkommen.
Was wünscht sich der Mensch? Nicht viel, aber dafür ein paar Dinge um so nachdrücklicher. Dazu gehören:
1. Gesundheit und ein langes Leben
2. Nahrung
3. Schlaf
4. Geld und alles, was man damit kaufen kann
5. ein Leben im Jenseits
6. sexueller Genuss
7. gesunde Kinder
8. das Gefühl, »bedeutend« zu sein.
Fast alle diese Wünsche gehen gewöhnlich in Erfüllung - bis auf einen. Ein einziger Wunsch, der beinahe so groß, so übermächtig ist wie das Verlangen nach Essen und Schlaf, wird selten erfüllt. Freud nennt ihn den »Wunsch nach Geltung«, Dewey bezeichnet ihn als den »Wunsch, bedeutend zu sein«.
Lincoln begann einmal einen Brief mit den Worten:
»Jeder Mensch liebt Komplimente.« William James sagte:
»Eine unausrottbare Eigenschaft im Wesen des Menschen ist sein Verlangen nach Anerkennung.« Wohl gemerkt, er sagte nicht: »der Wunsch« oder »die Sehnsucht« nach Anerkennung. Er sagte: »das Verlangen« nach Anerkennung.
Hier haben wir es mit einem nagenden, unstillbaren Hunger zu tun. Und in den Händen jener wenigen, denen es gelingt, diesen seelischen Hunger anderer zu stillen, sind die Menschen wie Wachs. »Sogar der Leichenbestatter trauert«, wie man sagt, wenn ein solcher Wohltäter stirbt.
Dieser Wunsch nach Geltung ist eines der hauptsächlichsten Merkmale, die den Menschen vom Tier unterscheiden. Ein Beispiel: Als ich noch ein Bauernjunge in Missouri war, züchtete mein Vater erstklassige Duroc- Jersey-Schweine und reinrassiges, weißköpfiges Vieh.
Wir pflegten unsere Tiere jeweils im ganzen Mittleren Westen an den Jahrmärkten und Viehschauen auszustellen und gewannen mit ihnen manchen ersten Preis.
Mein Vater heftete dann die blauen Schleifen von den Auszeichnungen auf ein Stück weißen Musselin, und wenn Freunde kamen oder Besuch, holte er das Tuch hervor, hielt es am einen und ich am anderen Ende hoch, damit sie die
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