Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
Leder und Holz ein, von Kraft und Erfolg, den der Innenraum seines Wagens verströmte. Nichts erinnerte mehr an seine Vergangenheit, jetzt war er ein erfolgreicher Modelagenturchef mit internationalen Kontakten, niemand wäre auf die Idee gekommen, in ihm etwas ganz anderes zu sehen.
Sherban schaltete das Radio ein, suchte einen Musiksender, der zu seiner Stimmung passte, aber der Empfang in dieser elenden Ecke der Slowakei war schlecht und in einem Anfall von Paranoia wagte er nicht, den integrierten MP3-Player zu aktivieren. Internet-Daten konnten gespeichert werden, deshalb hatte er schon früher vorsorglich den Chip für das Navigationssystem ausbauen lassen und telefonierte mit gewissen Kunden nur mit billigen Wegwerfhandys.
Gerade als er den Kopf gemütlich an die Nackenstütze legte, kam vorn an der Grenzstation Bewegung auf. Schnell stieg er aus dem Wagen, die Zöllner waren bereits aus ihren Containern gekommen, rotteten sich vor dem Aluminiumtor zusammen, dann sah Sherban auf der ukrainischen Seite bereits langsam den altersschwachen Autobus, der mit einem schrillen Quietschen direkt vor dem Aluminiumtor zum Stehen kam. Nach einer scheinbar endlos langen Zeit wurde das Tor geöffnet, eingehüllt in eine Abgaswolke ächzte der Autobus bis zu den Containern, wo mit einem lauten Röcheln der Motor verendete. In einer langen Prozession stiegen die Fahrgäste aus, die Reisepässe hielten sie wie Erkennungszeichen vor sich. Einer der Zöllner sammelte alle Dokumente ein, ging schnell auf einen der Container zu, nicht ohne vorher in Sherbans Richtung mit dem Kopf zu nicken. Schon nach kurzer Zeit kam er wieder zurück, winkte ein Mädchen, das mit gesenktem Kopf in der Reihe stand, zu sich und gab ihm den Pass zurück. Dann schob er das Mädchen an den Containern vorbei in Richtung Sherban.
„Marusha!“ Sherban pfiff anerkennend durch die Zähne. Dieses Mädchen hatte Klasse, das hatte er sofort gespürt, seine Intuition hatte ihn nicht im Stich gelassen.
„Marusha“, immer wieder flüsterte er den Namen, fixierte sie mit einem prüfenden Blick. Über einsfünfundsiebzig groß, mit aschblondem Haar, den hohen Wangenknocken, die seine Kunden so liebten, und den Schatten unter den Augen, die ihr eine leicht beschädigte Aura gaben, eine kranke Verletzlichkeit, die sie noch interessanter machte. Wie alt war sie doch gleich? Er rief sich den Brief ins Gedächtnis. 16 Jahre, das richtige Alter, sie war einfach perfekt.
Grüßend hob er die Hand, winkte Marusha zu sich, konzentrierte sich auf ihren Gang, der noch schwankend und unsicher war, so wie bei allen Mädchen, wenn sie unter Sherbans prüfendem Blick versuchten, selbstbewusst zu erscheinen.
„Hello Marusha! My name is Sherban from Madonna Models!“, begrüßte er das Mädchen auf Englisch, doch Marusha antwortete in flüssigem Deutsch.
„Danke, Herr Sherban, danke für die Chance, die Sie mir geben. Ich werde Sie nicht enttäuschen! Ich gebe alles!“
Wie eingelernt kamen die Sätze aus ihrem Mund und Sherban konnte sich gut vorstellen, wie sie in dem dreckigen Autobus, eingekeilt zwischen ausgemergelten Saisonarbeitern mit zukunftslosem Blick und fauligen Zähnen diese Sätze immer wieder aufgesagt hatte: „Ich gebe alles!“ und „Ich werde Sie nicht enttäuschen!“ mit immer größerer Euphorie, je weiter sie sich von dem Drecksnest entfernt hatte, aus dem sie stammte. Das machten sie alle, da war Marusha keine Ausnahme.
„Ich freue mich, dass du jetzt bei Madonna Models bist. Es wird eine tolle Zeit für dich. Wir haben ja so viel vor!“ Während er seine standardisierte Begrüßung herunterleierte, wippte er auf den Zehenspitzen, war aber trotz der hohen Absätze mit seinen einssechzig wesentlich kleiner als Marusha.
„Du bist das Mädchen, auf das Europa wartet“, schloss er seine Rede und griff – ganz Kavalier – nach ihrer Reisetasche, einem widerlich abgewetzten und schmutzstarrenden Ethnobag, den er am liebsten sofort entsorgt hätte, stellte sie behutsam in den Kofferraum des Dodge, nicht ohne zuvor ein Putztuch daruntergelegt zu haben.
„Gib mir deinen Pass, Marusha.“ Noch immer lächelnd, hielt ihr Sherban die offene Hand entgegen, doch Marusha zögerte und eine kleine, kaum sichtbare Nachdenkfalte machte sich auf ihrer Stirn bemerkbar. Noch ehe sie eine Frage stellen konnte, gab Sherban auch schon seine vorbereitete Erklärung ab.
„Wir sind jetzt in Europa, Marusha! Da gibt es Bürokratie und Formalitäten. Es muss
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