Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
öfters hier unten gesehen, immer sind Sie mit einem glücklichen Gesichtsausdruck den Korridor entlanggekommen und mit dem Lift nach oben gefahren. Das hat mir gefallen. Der glückliche Ausdruck in Ihrem Gesicht.“
„Ja, finden Sie? Sie denken also, ich bin glücklich?“ Goldmann dachte einen Augenblick nach. „Vielleicht haben Sie Recht. Vielleicht bin ich glücklich, wenn ich meinen Neigungen freien Lauf lasse.“
Rosa wich langsam zurück und nestelte ihr silbernes Kreuz hervor, als Goldmann langsam auf sie zukam und sie von oben bis unten betrachtete. „Sicher haben Sie Recht, ich sollte meinen Neigungen freien Lauf lassen.“ Dann war er auch schon neben ihr und zog ihr den Schildpattkamm aus den Haaren, die sofort wie ein glänzender, schwarzer Wasserfall über ihre Schultern fielen.
*
„Was ist mit Gregor Pestalozzi passiert?“, fragte Goldmann fast eine Stunde später, nachdem man ihn in der ganzen Klinik ausgerufen hatte.
„Er schreit und tobt und lässt sich nicht mehr beruhigen“, stotterte eine sichtlich überforderte Lernschwester und schob die Klappe auf, damit Goldmann einen Blick auf Gregor Pestalozzi werfen konnte.
„Wieso ist Pestalozzi in dem weißen Zimmer? Er hat heute doch seine Therapiestunden.“ Goldmann schüttelte verwirrt den Kopf.
„Dabei ist es ja passiert!“ Die Lernschwester war den Tränen nahe. „Normalerweise bringt ihn ja Schwester Rosa zur Therapie, aber die war heute wohl anders eingeteilt. Deshalb habe ich diese Aufgabe übernommen.“
Sie machte eine Pause, drehte ihren Kopf zu Goldmann und blickte ihn mit ihren blauen Augen angstvoll an.
Blaue Augen interessieren mich nicht!, ging es Goldmann durch den Kopf und ein abfälliges Lächeln umspielte seine Lippen.
„Weiter! Was war dann?“ Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf die Tür von Pestalozzis Zimmer.
„Wir gehen also den Gang entlang, dort wo die externen Patienten auf ihre Therapiesitzungen warten, und plötzlich fängt Pestalozzi an zu schreien, hört nicht mehr auf, verkriecht sich unter den Stühlen im Wartezimmer, legt sich ganz flach auf den Bauch und schreit: Das. Einhorn.“ Gekonnt imitierte die Lernschwester Pestalozzis abgehackte Sprechweise. „Das. Einhorn. Das hat er mehrmals geschrien. Bis ihm die Frau Doktor eine Spritze gegeben hat.“
„Das Einhorn?“ Nachdenklich kratzte sich Goldmann im Nacken und blickte in das weiße Zimmer, in dem nur ein weiß gestrichenes Bett mit weißen Gurten zum Fixieren an den Seiten, ein ebenfalls weiß gestrichener Kasten und ein kleiner Tisch mit einem Stuhl, beides natürlich in Weiß, stand. Keine Bilder an den Wänden, kein Fenster. Eine in die Decke eingelassene grell leuchtende Neonröhre erhellte den Raum intensiv. In diesem hellen Licht beobachtete er Gregor Pestalozzi, der ganz vorne an der Bettkante saß, mit zwischen den Knien eingeklemmten Händen und der mit seinem dünnen Oberkörper wie besessen vor und zurück wippte. Sein Gesicht war mit roten Flecken überzogen und er grimassierte heftig.
Wo hat Pestalozzi ein Einhorn gesehen?, dachte Goldmann. Und wieso kam ihm dieser Begriff so bekannt vor? So sehr er auch nachdachte, er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, in welchem Zusammenhang er das Wort gehört hatte.
„Habe ich heute eine Therapiesitzung?“, fragte er seine Sekretärin, als er wieder in seinem Büro war und klopfte mit dem Zeigefinger nachdenklich gegen seine Lippen, denn Pestalozzis Verhalten wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen.
„Ja, es wäre eine Sitzung vereinbart gewesen. Aber die Patientin hat es sich anders überlegt und ist wieder gegangen.“
„Das ist aber äußerst ungewöhnlich. Wer war denn die Patientin?“
„Die Tochter des berühmten Quizmasters, Camilla Dupont.“
44. Jimmy kann nicht fliegen
Die Wolken hingen tief über der Stadt, die Temperatur war wieder gestiegen und der Eisregen hatte sich wieder in einen grauen Schneeregen verwandelt, der sich wie Asche auf Dächer und Straßen legte und überall ausufernde schmutzstarrende Wasserpfützen bildete. Der vermüllte Parkplatz an der Rückseite des verlassenen Logistik-Centers war großräumig mit einem Plastikband der Polizei abgesperrt und die Feuerleiter neben der Tiefgaragenabfahrt war hochgezogen.
Oben auf dem Flachdach standen noch immer die windschiefen Käfige mit ihren bunten Fetzen, vermoderten Teppichen und zerfetzten Plastikplanen. Die Tauben gurrten unruhig, flatterten aufgeregt gegen die
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