Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
Drahtgitter, warteten darauf, gefüttert zu werden. Es war schon seit Tagen niemand mehr hier gewesen. Doch jetzt tauchte eine schmale Gestalt an der rückwärtigen Dachkante auf, stieg über die Brüstung und lief auf die Käfige zu. Hier oben war der Wind wesentlich stärker als unten auf dem Parkplatz, der Schneeregen peitsche fast waagrecht über das Flachdach und hüllte die Gestalt in eine schmutziggraue Gischt.
Jimmy Braun stellte seinen schweren Rucksack vor sich auf den Boden und nahm einen riesigen Sack Vogelfutter heraus. Wie er es von Phil gelernt hatte, schüttete er das Futter in die an den Gittern befestigten abgeschlagenen Schalen und achtete darauf, mit seinem Arm die Tauben an die richtige Schale zu dirigieren, um ein Gedränge und hektisches Geflattere zu vermeiden. Als er mit der Fütterung fertig war, kamen die schwarzen Gedanken wieder.
Natürlich hatte er heute Morgen in der Zeitung von Phils dramatischem Selbstmord gelesen. Aber alles wäre nicht passiert, wenn er Phil nicht die Pistole überlassen hätte. Natürlich wollte er zunächst seinem Vater nichts über die gestohlene Pistole beichten, doch sein Vater war Polizist und hatte sofort nach dem Schusswechsel die Pistole erkannt. Ein Blick auf die Registrierungsnummer hatte seinen Verdacht bestätigt, nur konnte er sich beim besten Willen keinen Reim darauf machen, wie die Pistole in den Besitz des obdachlosen Phil gekommen war.
Jimmy erinnerte sich noch sehr genau an den gestrigen Tag. Der Eisregen hatte den Verkehr zum Erliegen gebracht und Jimmy brauchte dreimal so lange, um von der Schule nach Hause zu kommen. Natürlich war er mehr als überrascht, als er zu Hause seinen Vater antraf, der mit verschränkten Armen vor seinen Schallplattenregalen stand, die kinnlangen schwarzen Haare straff hinter die Ohren geklemmt, in seinem üblichen schwarzen Anzug mit den abgewetzten klobigen Springerstiefeln.
„Hinter welchen Schallplatten ist der Safe?“
Mehr hatte sein Vater nicht gesagt und Jimmy hatte schweigend auf Nirvana und Nick Cave gedeutet.
„Der Nummerncode?“
Automatisch hatte er den Code genannt, dabei betreten zur Seite geblickt und mit der Fußspitze seinen Rucksack hin und her geschoben.
„Du weißt, dass ich deswegen eine Anzeige bekommen habe!“ Jimmy hatte nur den Kopf geschüttelt und sich geduckt, denn gleich würde ja der Wutausbruch seines Vaters kommen. Doch es herrschte nur Stille im Wohnzimmer, bis auf den Schneeregen, der, von heftigen Windböen aufgepeitscht, gegen die Scheiben prasselte.
„Der Mann hätte meinen Partner töten können“, meinte sein Vater schließlich traurig.
„Phil bringt doch niemanden um!“ Dann war alles aus ihm herausgebrochen und er hatte sich wie ein kleines Kind auf den Boden geworfen und geflennt, hatte um Phil geweint, den er doch eigentlich überhaupt nicht gekannt hatte, aber Phil war der einzige Mensch gewesen, bei dem er sich wohlgefühlt hatte, sonst fühlte er sich irgendwie ausgestoßen.
Es war auch keine Hilfe gewesen, dass ihn sein Vater behutsam in die Arme genommen und ihm über den Kopf gestreichelt hatte.
„Jimmy, wir müssen uns beide ändern“, hatte sein Vater geflüstert und ihm mit einem Taschentuch die Tränen getrocknet wie einem kleinen Kind. „Ich muss mehr für dich da sein. Aber ich habe einen anstrengenden Beruf, der mich fordert, manchmal bis an die Grenzen meiner Belastbarkeit. Kannst du das verstehen?“
Jimmy hatte genickt, obwohl er das nicht verstanden hatte oder einfach nicht verstehen wollte. Wie immer hatte sein Vater automatisch von seinem stressigen Job geredet, wie immer war es nur um seinen Wohlfühlscheiß gegangen. Bei Phil war das anders gewesen, Phil hatte nie über sich gesprochen, sondern sich hinter seinen Tauben versteckt und war dabei glücklich gewesen. Das jedenfalls glaubte Jimmy. Er war schuld, dass Phil jetzt tot war und irgendwo in einem Sarg lag, sein Vater wollte ihm nicht sagen, wo. Jimmy war schuld, dass die Tauben keinen Vater mehr hatten, der sie beschützte, Jimmy war schuld, wenn sie jetzt in das Taubenhaus mussten, das für Jimmy in seiner Phantasie immer etwas von einem düsteren Waisenhaus an sich hatte.
Er öffnete einen Käfig und holte Damian, die schwarze Taube, hervor. Damian schlug zunächst hektisch mit den Flügeln, doch als ihm Jimmy mit dem Zeigefinger sanft über den Kopf strich, beruhigte er sich schnell wieder.
„Zeige mir den Weg“, sagte er und warf Damian in die Höhe. Die Taube
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