Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
denen sie sich in wenigen Sekunden ihre Zigaretten anzünden würden.
Hintergrundmusik plätscherte von der Decke und hüllte die Passanten in einen klebrigen Soundteppich, der nur von einschmeichelnden Stimmen durchbrochen wurde, die eine weitere Zugverspätung ankündigten. In Augenblicken wie diesem hätte er viel darum gegeben, wieder zurück auf seinem Dach zu sein, mit der wie ein reiner und klarer Fluss tosenden Stadtautobahn als meditatives Dauerrauschen, und nicht hier in diesem Inferno zu stehen und auf den Lift zu warten, der ihn mitsamt dem sperrigen Ungetüm ins Untergeschoss bringen sollte, wo er laut Plan den Koffer abzustellen hatte, um dann unauffällig und vor allem ungesehen zu verschwinden, um unerkannt im Nebel unterzutauchen.
Deshalb hatte er auch peinlich darauf geachtet, nicht direkt in das Blickfeld einer der zahlreichen Kameras zu gelangen, hatte sich im Hintergrund umhergedrückt, eine zerfledderte Zeitung, die er zufällig im Müll gefunden hatte, immer so weit vor dem Gesicht, dass es echt wirkte. Nichts wäre fataler, als wenn ihn jemand auf einem zufällig ausgedruckten Foto erkennen würde, ihn, der früher ganz oben gewesen war, ein goldener Reiter auf dem Zenit seiner Macht, unverletzbar und vom Glück auf geradezu unverschämte Weise begünstigt, bis zu dem Zeitpunkt, als er einmal zu viel riskiert hatte, als er tatsächlich geglaubt hatte, er sei unverwundbar und unsterblich. Das war natürlich nicht so und die „Ritter der Tafelrunde“, wie er seine Vorstandskollegen genannt hatte, ließen ihn fallen wie eine glühende Kohle und rümpften die Nase über seinen Alleingang, als würde er bei lebendigem Leib verfaulen.
Nun gut, für das Insidertrading war er einige Jahre im Knast gesessen, gottlob in Österreich, in den USA hätte er mehrmals lebenslänglich bekommen, aber hier hatte man ihn als Bauernopfer vorgeschoben. Jetzt war er ruiniert und am Ende und konnte nichts zu Ende denken, obwohl er früher doch so ein brillanter Stratege gewesen war. Während er so nachdachte, war der Aufzug endlich da und er schob das Kofferungetüm hinein, andere Reisende, die zu ihren Bahnsteigen wollten, zwängten sich dazu und jetzt bemerkte er auch wieder die scheelen Blicke und das leise Getuschel hinter seinem Rücken, wenn die Leute zufällig einen Blick auf die Schultern seines Mantels warfen, der über und über mit Vogelscheiße beschmiert war, ein Actionpaintingmuster hatte und nach echter Scheiße stank. Wenn die dicht an dicht stehenden Reisenden diese Sauerei entdeckten, hatte sich der Gestank bereits in ihren Köpfen eingenistet.
Natürlich war er jetzt aufgefallen, aber aus Erfahrung wusste er, dass Zeugen sich niemals erinnern können, er konnte das bei seinem eigenen Prozess feststellen, nicht einmal die „Ritter der Tafelrunde“ konnten sich an die Geschäftspartner seiner Finanztransaktionen erinnern, obwohl sie sich alle Seite an Seite durch die teuersten Haubenlokale der Stadt gefressen hatten.
Endlich unten angekommen, die ungläubigen und angeekelten Blicke der graugesichtigen Frühaufsteher ignorierend, bahnte er sich seinen Weg durch das frühmorgendliche Gewirr von Koffern, Taschen und Leibern der Reisenden, die alle den Blick starr nach vorne gerichtet hatten, wie die New Yorker in der U-Bahn, aber die New Yorker U-Bahn würde er wohl nie wieder sehen, denn in Amerika wartete der Staatsanwalt auf ihn. Wie geplant stellte er den Koffer mehr oder weniger genau in die Mitte der Halle und fuhr diesmal mit der Rolltreppe wieder nach oben, denn von dort hatte er den optimalen Blick auf den Koffer.
Gerade als er sich an die Balustrade lehnen wollte, um den Koffer besser im Auge zu behalten, hörte er eine wütende Stimme hinter sich, die ihm bekannt vorkam. Als er sich langsam umdrehte, sah er zwei Personen durch die hintere Glastür in die Halle stürmen, draußen rotierte ein Blaulicht auf einem schrottreifen Range Rover, der halb auf dem Gehsteig parkte, und das bedeutete Gefahr!
Doch die beiden Personen kümmerten sich weder um ihn noch um den Koffer, sondern gestikulierten wild mit den Händen und warfen sich mit hochroten Gesichtern und wutverzerrten Mienen Schimpfwörter an den Kopf. Einer der beiden war wohl Mitte vierzig mit schwarzen, längeren Haaren, der trotz der Kälte nur ein T-Shirt unter seinem Anzug trug, der andere war wesentlich jünger, eigentlich noch ein großer, schlaksiger Junge, der die Haare auf einer Seite abrasiert hatte. Dieser Junge kam
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