Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
argwöhnisch starrte sie darauf, wusste nicht, weshalb ihr Herz plötzlich anfing wie verrückt zu klopfen, spürte nur, dass dieses Kuvert Tragik und Tod ausstrahlte, böse pulsierte und auf der Lauer lag, um sofort zuzuschlagen, wenn Kim es berührte. Mit einem lauten Seufzer durchbrach Kim diese andere Wirklichkeit und reduzierte das Kuvert wieder auf einen dieser neutralen gelben Umschläge, wie man sie für Luftpost-Sendungen verwendete, und schnell machte sie sich daran, ihn aufzureißen und den Inhalt auf ihren Schreibtisch zu kippen: eine DVD in einer abgeschlagenen Hülle, ein USB-Stick, ein abgegriffenes schwarzes Notizbuch und eine Fotografie.
Kim nahm den USB-Stick und öffnete ihn auf ihrem Computer. Es war ein Film in schlechter Auflösung, wahrscheinlich mit dem Handy aufgenommen. Zunächst nur eine Bildstörung, fast so wie in ihrem Schädel, dann alles dunkel, bis das Dunkel plötzlich Konturen annahm und zu einer Gestalt wurde, die sich auf ein zerwühltes Bett setzte, zu einer dünnen Frauengestalt in einem engen, dunklen Tank-Top wurde, das ihre Arme noch weißer und dünner erscheinen ließ, zu einem Kopf mit zerzausten, schwarz gefärbten Haaren wurde, zu einem Gesicht mit einem Muttermal und großen blauen Augen wurde, zu ihrer Informantin Lola.
„Hallo Journalistin!“
Der Ton kam von weit entfernt und blechern aus den Boxen und Kim drehte die Lautstärke höher. „Hat ja alles perfekt geklappt mit unserem Geschäft. Wenn du das siehst, bin ich schon weit weg. Habe das mit dem Handy schon vorab aufgenommen, denn ich war ja sicher, dass meine Story ihr Geld wert ist.“ Lautes Husten, dann das Klacken eines Feuerzeugs. „Auf der DVD sind alle Beweise, damit du diese Schweine dort oben auffliegen lassen kannst.“ Sie schwenkte eine DVD in der Hand. „Das wird deine große Stunde, Journalistin. Mach sie fertig. Mich wollten sie fertig machen, aber ich bin clever. Auch meine Alte wird jetzt alles büßen von damals! Keiner hat mir geglaubt, als mir der Dreckskerl mit seinen Pranken zwischen die Beine gegriffen hat. Keiner hat was gesehen, keiner hat es geglaubt, keiner!“ Ein Hustenanfall schüttelte sie. „Scheißkälte hier! Aber was soll’s. Ich hau ab in die Wärme, mit dem Geld.“ Jetzt beugte sie sich vor und ihr Gesicht mit den blauen Augen füllte den ganzen Bildschirm aus. „Ich vertraue dir, mach, dass man die Mädchen nicht vergisst. Lass dich nicht einschüchtern, schreib alles auf. Tu’s für die verschwundenen Mädchen“, flüsterte sie. „Tu’s auch für dich!“ Ihre blauen Augen wurden nass, doch schnell rückte sie wieder zurück auf das durchhängende Bett, zog an ihrer Zigarette, wurde wieder zu der harten jungen Frau, so wie Kim sie kennen gelernt hatte. „Das war’s, Journalistin! Ich hab dir alle Beweise gegeben. Mach was draus!“
Wow! Kim musste fest durchatmen, um den Kloß, den sie in der Kehle hatte, wieder nach unten zu befördern.
„Kannst dich auf mich verlassen! Ich mache etwas daraus! Die verschwundenen Mädchen werden vor dem Vergessen bewahrt“, flüsterte sie zu dem eingefrorenen Bild auf ihrem Monitor, dem letzten Bild, das sie von Lola in ihrem Gedächtnis speichern würde: eine dürre, bleiche Frau mit so blauen Augen, dass Kim unwillkürlich an das Eismeer denken musste, mit blauen Augen, die von Liebe und Sieg träumten, doch Liebende und Sieger sahen anders aus. Tief in ihrem Inneren wusste sie es wahrscheinlich schon, doch ihre Augen wollten es nicht wahrhaben: Dass sie schon längst auf der Verliererstraße war und bereits alles verloren hatte.
Wieder musste Kim schlucken, doch dann gewann ihre journalistische Professionalität wieder die Oberhand und sie Griff nach dem schwarzen Notizbuch. Während sie das Buch durchblätterte, machte sie gleichzeitig routinemäßig eine Kopie der DVD. Das Buch war ein Kalender mit wenigen Einträgen, die meisten drehten sich um die Namen „Sherban“ und „Madonna“. Als Kim zum aktuellen Datum vorblätterte, stutzte sie. „Mission“ war quer über die Seite in einer krakeligen Handschrift geschrieben, immer wieder das Wort „Mission“, so fest, dass sich der Stift bis auf die nächste Seite durchgedrückt hatte, als Kim umblätterte. Dort stand groß und unübersehbar: „PLAN: Mutter muss büßen – Mission Tod – Hass – Tod“. Das Wort „Tod“ war sooft und anscheinend mit zunehmender Wut geschrieben, bis es unleserlich wurde und die Seite damit voll war.
Was hatte das zu
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