Frevel: Roman (German Edition)
informiert mich der Türhüter. Wir blicken uns beide um. Die Halle ist leer. »Wartet einen Augenblick.« Er geht zu einer Tür am anderen Ende, wobei seine Absätze auf den Fliesen klicken, steckt den Kopf hinein und ruft jemandem etwas zu. Ein paar Minuten verstreichen in Schweigen. Ich lächele meinen Führer unsicher an, woraufhin er ermutigend in Richtung Tür nickt. Endlich erscheint ein stämmiger Mann in demselben Wappenrock, dessen Doppelkinn über seine Halskrause quillt. Auch er betrachtet mich mit Argwohn.
»Dieser Gentleman«, sagt der Türhüter, wobei mir der Anflug von Sarkasmus in seiner Stimme nicht entgeht, »muss einen Titel überprüfen. Sagt, er ist in einer persönlichen Angelegenheit des französischen Botschafters hier.«
»Habt Ihr eine Vollmacht?«, fragt der Mann mit dem Doppelkinn.
»Leider nein.« Wie zum Beweis klopfe ich auf mein Wams.
Er presst die Lippen zusammen und faltet die Hände. Einen Moment fürchte ich, dass er mich unverrichteter Dinge wieder fortschickt.
»Ich habe Geld«, platze ich heraus.
Der Offizier lächelt schwach.
»Oh, ohne Geld kommt Ihr auch nicht weit. Was ist denn der Grund für Eure Nachfrage?«
Ich schaue von einem zum anderen.
»Die Nichte des Botschafters hat einen Heiratsantrag von einem englischen Gentleman bekommen, der behauptet, der Erbe einer bestimmten Grafschaft zu sein«, flüstere ich, als würde ich ihnen ein pikantes Geheimnis anvertrauen. »Aber mein Herr kennt diesen Titel nicht und möchte die Glaubwürdigkeit des jungen Mannes überprüfen.«
Die beiden Männer tauschen einen wissenden Blick.
»Der alte Trick«, sagt der ältere, womit er andeuten will, dass er täglich mit derartigen Dingen zu tun hat. Er streckt eine fleischige Hand aus. »Das Amt benötigt regelmäßige Einkünfte, um das Archiv unterhalten zu können, das versteht Ihr doch sicher.«
»Natürlich.« Ich klopfe auf den Brustteil meines Wamses, wo ich mir unter meinem Umhang meine Geldbörse um den Hals geschlungen habe. Das für neue Stiefel bestimmte Geld wird wohl einer wichtigeren Sache geopfert werden müssen. »Wie hoch ist der Preis?«
»Das hängt davon ab, wie lange ich brauche, um die entsprechenden Unterlagen zu finden«, erwidert er und stößt zum Beweis die Tür auf, durch die er gekommen ist. Dahinter liegt ein Raum mit deckenhohen Regalen an den Wänden, die mit gebundenen Manuskripten und Papierrollen vollgestopft sind. »Die Akten über Wappen und Stammbäume reichen hundert Jahre zurück, seit das Amt von König Richard III. gegründet wurde«, erklärt er stolz, dabei deutet er auf die Sammlung, als habe er selbst sie zusammengetragen. »Wie lautet denn der angebliche Titel?«
»Earl of Ormond«, antworte ich. Der Name hat in meinen Ohren bereits einen düsteren Klang angenommen.
»Oh, dann kann ich Euch nicht helfen«, bedauert er. »Spart lieber Euer Geld.«
»Warum nicht? Ist es kein echter Titel?«
»Es ist kein englischer Titel«, entgegnet er vorsichtig. »Ich halte ihn für schottisch, und wir bewahren hier keine Unterlagen über den schottischen Adel auf. Dafür werdet Ihr nach Edinburgh reisen müssen.«
Ein Dutzend widersprüchlicher Gefühle muss über mein Gesicht gehuscht sein, denn er scheint Mitleid mit mir zu bekommen.
»Allein – es gibt jemanden, der Euch vielleicht weiterhelfen kann. Wartet hier.« Er stapft wichtigtuerisch durch eine andere Tür. Seine Schritte verklingen, und plötzlich überkommt mich eine solche Erschöpfung, dass ich mich auf die unterste Stufe der Marmortreppe setzen muss, die von der Eingangshalle nach oben führt.
»Offen gestanden«, meint der Türhüter, der sich nicht von der Stelle gerührt hat – anscheinend ist er an dem Ausgang meiner Suche so interessiert, dass er nicht auf seinen Posten zurückkehren will, »sind die meisten, die mit ihrem Earltitel prahlen, selten von Adel. Ich meine, die wahren Earls haben es nicht nötig, großes Aufhebens davon zu machen.«
Ich hebe den auf meinen Händen ruhenden Kopf an, um den Türhüter ansehen zu können. »Danke. Ich werde es mir merken.«
Nach einer Weile höre ich die sich nähernden Schritte des Wappenherolds. Hinter ihm schlurft ein weißhaariger, ebenfalls in die Livree des Amtes gekleideter Mann, der sich militärisch aufrecht hält, obwohl das Gehen ihm sichtliche Schwierigkeiten bereitet.
»Das ist Walter, unser dienstältester Offizier«, verkündet der Mann mit dem Doppelkinn. »Er hat den größten Teil unserer Akten im
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