Frevel: Roman (German Edition)
Kopf, müsst Ihr wissen. Wenn hier, was Gott verhüten möge, ein Feuer ausbrechen sollte, werden wir uns an Walter wenden, damit er unser Archiv aus dem Gedächtnis heraus neu aufbaut.« Er tippt sich viel sagend gegen die Schläfe. »Und er ist gebürtiger Schotte und weiß auch viel über schottische Adelstitel.«
»Nun«, versetzt der alte Mann mit sonorer Stimme und dieser seltsamen Betonung der Vokale, die ich mittlerweile sofort erkenne, »leider stiehlt mir das Alter nach und nach die Namen und Daten. Aber an die Grafschaft Ormond kann ich mich erinnern, wenn es Euch interessiert.«
Ich springe auf und nicke.
»Bitte – erzählt mir alles, was Ihr wisst!«
»Gut.« Er räuspert sich, als schicke er sich an, eine lange Geschichte zu erzählen. Insgeheim hoffe ich, er möge sich kurz fassen. »Der Titel leitet sich von Ormond Castle auf der Black Isle ab, aber die Grafschaft wurde 1455 nach einer Rebellion gegen die schottischen Könige konfisziert.«
»Also ist der Titel erloschen?«
»Er wurde ein Nebentitel der Herzöge von Ross, der Anfang dieses Jahrhunderts ebenfalls verloren ging. Nun …«, er hält inne, schluckt und hebt wie ein Schulmeister, der die Aufmerksamkeit seiner Schüler auf sich lenken will, einen zittrigen Finger, »… die Herzöge von Ross waren Stewarts, die Earls of Ormond entstammten dagegen alle dem Haus Douglas.«
Ich höre kaum, wie der Wappenherold mir seinen Preis nennt, meine Finger greifen fast wie von selbst nach meinem Geldbeutel und reichen ihm die verlangten Münzen, während ich den alten Mann anstarre, ohne ihn bewusst wahrzunehmen. Douglas . Der Name hallt in meinen Ohren wider. Warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen? Douglas, der gedungene Mörder mit seinem eigenartigen Charme, mit dem er sowohl Männer als auch Frauen in seinen Bann ziehen kann, mit seinem schelmischen Lächeln und seinen zotigen Witzen. Hat er sich mit Marie und den Guise-Anhängern zusammengetan, weil er ihnen die größte Chance einräumt, nach der Invasion an die Macht zu gelangen, oder haben sie ihm einfach nur genug Geld für die Morde geboten?
Ich danke den Männern und stolpere durch das Tor des Heroldsamtes auf die Straße hinaus. Das Licht wird schwächer, eine kühle frühe Abendämmerung bricht über die Stadt herein, als dünner Nebel aufsteigt, die Gebäude einhüllt und die Straßen plötzlich fremd erscheinen lässt. Schon werden in den Fenstern die ersten Lampen entzündet. Ich ziehe meinen Umhang hoch und schlinge den Kragen um mein Gesicht, denn der Mut, den ich noch einige Zeit zuvor verspürt habe, ist schlagartig erloschen. Hier in den sich verdunkelnden Straßen bin ich allein und verwundbar, und diese Erkenntnis steigert meine Furcht noch. Ich kann nicht umhin, als an den Tag zu denken, an dem Douglas mich unverhofft auf der Straße angesprochen hatte, so, als habe er mich zufällig getroffen – er musste mir da schon gefolgt sein. Der Nebel würde weder ihn noch Henry Howards Männer abhalten, wenn sie mir auf den Fersen wären, und die Wachposten beginnen erst mit ihren Runden, wenn die Glocken acht Uhr geläutet haben. Von der St. Peter Street bis zum St. Andrew’s Hill ist es nicht weit, nur wenige hundert Yards; wenn Fowler daheim ist, könnten wir noch heute Abend mit einem Boot zu Walsingham oder wenigstens nach Whitehall zu Lord Burghley fahren.
Ich schöpfe wieder etwas Mut, biege in die St. Peter Street ein und halte mich diesmal dicht im Schatten der Gebäude. Ein paar einsame Reiter sind Richtung Westen auf dem Weg hinaus aus der Stadt, und die letzten Straßenhändler trotten mit ihren Körben auf den Schultern an mir vorüber. Die wehmütigen Schreie der Möwen zerreißen das Zwielicht. Ich schreite rasch aus; der heranwabernde Nebel scheint die Geräusche der Stadt zu dämpfen oder aus den unwahrscheinlichsten Ecken widerhallen zu lassen. Ich habe gerade die Ecke zum Addle Hill erreicht, als sich ein Arm von hinten um meinen Hals schließt und ich in eine Lücke zwischen zwei Häusern gezerrt werde. Ich versuche zu schreien, doch der Arm schnürt mir die Luft ab. Mein Angreifer ist ein hünenhafter, kräftiger Mann, er hebt mich fast vom Boden hoch, und obwohl ich nach ihm trete, treffen meine Füße ihn nicht. Mit seiner freien Hand presst er meinen linken Arm hinter meinen Rücken, doch dieses Manöver ermöglicht es mir, meinen Körper so weit zu drehen, um mit der rechten Hand nach meinem Dolch greifen zu können. Ich habe nur eine
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