Frevelopfer
Körper nachzuweisen.
Elínborg zeigte ihr Fotos von verurteilten Vergewaltigern, aber diese Fotos sagten ihr gar nichts. Sie ging mit ihr zu dem Lokal, in dem sie den Mann getroffen hatte, doch die Angestellten dort konnten sich weder an sie noch an den Mann erinnern, den sie dort kennengelernt hatte. Elínborg wusste, dass Vergewaltigungen, bei denen Drogen im Spiel waren, nicht leicht nachzuweisen waren. Im Blut oder im Urin waren keine Spuren zu finden, denn in der Regel war das Gift nicht mehr im Körper, wenn das Opfer zur Untersuchung kam, aber verschiedenes andere deutete darauf hin, dass eine Vergewaltigung stattgefunden hatte. Amnesie, Sperma in der Gebärmutter, Verletzungen. Elínborg sagte der Frau, dass jemand ihr vermutlich eine Vergewaltigungsdroge in den Drink gemixt hatte. Es war nicht auszuschließen, dass es sich um Buttersäure gehandelt hatte, die dieselbe Wirkung wie Rohypnol hervorrief, farb- und geschmacklos und sowohl in flüssiger als auch in fester Form erhältlich war. Das Zentralnervensystem wurde beeinflusst. Die Opfer waren nicht in der Lage, Widerstand zu leisten, sie litten unter Amnesieerscheinungen oder sogar völligem Gedächtnisverlust.
»All das erschwert es uns, diese Verbrecher vor Gericht zu stellen«, sagte sie zu der jungen Frau. »Die Wirkung von Rohypnol oder Buttersäure hält etwa drei bis sechs Stunden an, ohne Spuren im Körper zu hinterlassen. Schon wenige Milligramm reichen, um einen schlafähnlichen Zustand herbeizuführen, wobei die Wirkung durch Alkohol noch verstärkt wird. Nebenerscheinungen sind Halluzinationen, Depressionen und Schwindelgefühl, unter Umständen sogar epileptische Anfälle.«
Elínborg ließ ihre Blicke durch die Wohnung im Þingholt-Viertel schweifen und dachte an den Überfall auf Runólfur und an den Hass, der dabei die treibende Kraft gewesen sein musste.
»Hat dieser Runólfur ein Auto besessen?«, fragte sie die Leute von der Spurensicherung.
»Ja, das stand hier vor dem Haus«, entgegnete einer von ihnen. »Es wird gerade von den Labortechnikern untersucht.«
»Ich muss euch die dna -Daten von einer Frau zukommen lassen, die kürzlich vergewaltigt wurde. Ich muss wissen, ob sie ein Opfer von Runólfur gewesen sein kann. Vielleicht hat er sie in seinem Auto nach Kópavogur gebracht und sie dort abgesetzt.«
»Selbstverständlich«, sagte der Mann. »Da ist aber noch etwas.«
»Was?«
»Alles hier in der Wohnung gehört einem Mann, die Garderobe, die Schuhe, die Oberbekleidung …«
»Ja.«
»Nur das da nicht«, sagte der Mann von der Spurensicherung und deutete auf eine Plastiktüte, in die etwas hineingestopft worden war.
»Was ist das?«
»Soweit ich sehen kann, ist das ein Schultertuch«, antwortete der Mann und hob die Plastiktüte hoch. »Es lag unter dem Bett im Schlafzimmer. Das ist wohl ein weiteres Indiz dafür, dass eine Frau bei ihm war.«
Er öffnete die Tüte und hielt sie Elínborg unter die Nase.
»Es riecht eigenartig«, sagte er. »Es stinkt nach Zigaretten, aber auch nach dem Parfüm der Frau, und dann ist da so etwas wie der Geruch von … irgendeinem Gewürz.«
Elínborg steckte ihre Nase in die Tüte.
»Wir werden das noch analysieren«, sagte der Mann von der Spurensicherung.
Elínborg atmete tief ein. Das violettblaue Tuch war aus Wolle. Sie konnte den Zigarettenrauch und das Parfüm riechen. Außerdem stimmte auch das, was der Mann noch gesagt hatte: Da war der Duft von einem Gewürz, das sie gut kannte.
»Weißt du, was das ist?«, fragte Sigurður Óli, der Elínborg interessiert beobachtete.
Sie nickte.
»Mein Lieblingsgewürz«, sagte sie.
»Lieblingsgewürz?«, fragte der Mann von der Spurensicherung.
»Dein Lieblingsgewürz?«, fragte Sigurður Óli.
»Ja«, erklärte Elínborg. »Es handelt sich aber nicht um ein Gewürz, sondern um eine Mischung. Es riecht wie … Es erinnert mich an Tandoori. Ich glaube, dieses Tuch riecht nach Tandoori.«
Vier
Die meisten Nachbarn waren sehr kooperativ. Sämtliche Leute, die in einem bestimmten Umkreis des Hauses wohnten, wurden systematisch befragt, auch wenn sie selbst nicht der Meinung waren, dass sie etwas zu der Ermittlung beitragen konnten. Ob Aussagen brauchbar waren oder nicht, war Ermessenssache der Kriminalpolizei. Die meisten Nachbarn sagten aus, dass sie in der bewussten Nacht geschlafen und nichts Außergewöhnliches bemerkt hatten. Keiner kannte den Untermieter. Niemand hatte in dieser Nacht irgendwelche Menschen in der Nähe
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