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Friedemann Bach

Friedemann Bach

Titel: Friedemann Bach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Emil Brachvogel
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wunderlichster Art, neugierige Aufmerksamkeit zuwandten und sie, je nach Einstellung und Temperament, mit Anteilnahme, gutmütiger Neckerei oder mit Spott, Hohn und Grobheiten bedachten. Bei allen Gegensätzlichkeiten in ihren Verhältnissen -- denn der eine der Sonderlinge war weiblichen, der andere männlichen Geschlechtes, der eine war reich, der andere arm, der eine besaß ein stattliches Haus, der andere nur eine notdürftige Schlafstelle -- besaßen sie doch auch Gemeinsames: beide waren alt, schon in den siebziger Jahren, und beide waren Musikenthusiasten, nur daß den einen musikausübende Frauen nicht interessierten, den anderen aber Frauen überhaupt nicht. Wohlmeinende Kreise nannten die eine Person die »seltsame Witwe«, das Volk nannte sie die Musikantenschachtel; den Mann bezeichneten beide als den »alten Musiker« oder auch den »tollen Musiker«.
    Die »seltsame Witwe« bewohnte, solange man zurückdenken konnte, das große Eckhaus an der Jerusalemer- und Krausenstraße. Früher war es ein tonangebender Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der Residenz gewesen, und in den dort verkehrenden Zirkeln heimisch zu sein, galt für eine besondere Ehre und Auszeichnung. Schon einige Jahre vor dem Tod des Gatten, des Tribunal- und Hofrates Friedrich von Eichstädt, hatte sich das geändert. Eine plötzliche Melancholie war über die Frau des Hauses gekommen, sie wurde in sich gekehrt, von frostiger Höflichkeit; mehr und mehr mied die vornehme Gesellschaft ihren Salon, zogen sich die Freunde von ihr zurück. Als Eichstädt gestorben war, vereinsamte Antonie, deren Ehe auch ein Kindersegen versagt geblieben war, in noch stärkerem Maße. Sie vermietete den größten Teil des Hauses und behielt als Wohnung für sich nur das erste Stockwerk; dort führte sie mit ihrem steinalten Kammerdiener, dem längst verwitweten ehemaligen Müller von Trotha, und einer Köchin ein Leben eigener Art. Fast jeden Abend fand in den Räumen der »seltsamen Witwe« eine intime musikalische Veranstaltung statt. Dann wurde an nichts, was von dem alten Glanz des Hauses erwartet werden durfte, gespart, und neben unbekannten und aufstrebenden Talenten, die auf Unterstützung oder Förderung bedacht waren, gehörten Reichardt, Agricola, Fasch, Zelter, André und andere Größen der Tonkunst zu ihren Gästen. Aber sie blieben immer nur Gäste, ihr Vertrauter wurde keiner. Die einzigen Menschen, vor denen sie die Pforten ihrer innerlichen Vereinsamung zuweilen öffnete, waren die alten, bewährten Freunde Moses Mendelssohn und der Maler Rode.
    Den Beinamen »Musikantenschachtel« erwarb sich Antonie von Eichstädt jedoch weniger durch diese Musikabende als durch eine Gepflogenheit ihres Tagewerks. Es war nämlich zur feststehenden Regel geworden, daß sie, ihren Kammerdiener hinter sich, täglich einen Gang durch die Stadt machte und jedesmal einen anderen Weg wählte. Kam sie irgendwo vorbei, wo eine Violine, eine Zimbel, ein anderes Instrument ertönte, blieb sie stehen, hörte ein Weilchen zu, trat dann ins Haus und suchte den Musikbeflissenen auf, riß ihn durch vielerlei Fragen über seine Verhältnisse, seine Lehrer, seine musikalischen Bekanntschaften aus seinen Träumen und ging dann wieder ihres Weges. Ob sie dadurch verrufen und zum Gespött wurde, ob man von ihr die gemeinsten Dinge sagte, sie verhöhnte, oft mit Grobheiten und Schimpfworten davonjagte, konnte sie nicht beirren. Und da sie reich war und von keinem Bedürftigen schied, ohne freigebig gewesen zu sein, wurde sie schließlich sogar willkommen; manch einer wartete schon darauf, durch erlogene Geschichten und erheuchelte Armut ihren Geldbeutel möglichst großzügig in Anspruch zu nehmen.
    Die alte Dame schien auf ihren Wanderungen irgend etwas mit drängender Hast zu suchen; aber sooft sie auch mit ihrem Diener heimkehrte, sooft mußte sie müde und enttäuscht feststellen: »Es war wieder nichts!« Und wieder schloß sie ihr Nachtgebet mit dem Anliegen: »So laß mich ihn denn morgen finden, o Herr!«
    Als Antonie von einem Suchgang eines Abends verspätet zurückkehrte, obwohl die heutige musikalische Feierstunde durch das Erscheinen des berühmten Dresdener Opernkomponisten Naumann, der wegen der Aufführung seiner »Cora« für einige Monate in Spreeathen weilte, eine besondere Weihe erhalten sollte, traf sie ihren Freund Moses bereits an. Er küßte ihr teilnahmsvoll die Hand: »Sie sind heute länger geblieben als sonst?«
    »Und bin doch, wie immer,

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