Friedemann Bach
schelmisch.
»Ach ja! Bitte, bitte!« riefen die jungen Damen wie aus einem Mund.
Herr von Eichstädt trat zu den Musikanten und erkundigte sich, ob sie sich wohl getrauten, der Gutsherrschaft zum Tanze aufzuspielen.
»Wir können alles, Euer Gnaden«, näselte der kleine Klarinettist, »Sarabanden, Menuett, Polonäse, Gigue und Galliarde, was befohlen wird.«
Ein Tanz folgte dem anderen, die Fächer der Damen kamen nicht mehr zur Ruhe, die Zöpflein der jungen Herren wippten verwegen auf den reichbestickten Röcken von Atlas. Sogar die älteren Vertreter der Männerwelt schlossen sich von dem Vergnügen nicht aus, atmeten aber doch erleichtert auf, als die Zeit des Abendessens herangekommen war, das ihnen mit seinen auserlesenen Speisen und vorzüglichem Weinen geschätztere Genüsse bot. Geistreiche Witzworte flogen hin und her, und leises Geflüster ins Ohr einer schönen Tischnachbarin zauberte manch schämige Röte auf liebliche Mädchenwangen.
»Fehlt nur noch die Tafelmusik!« äußerte Emanuel Bach, »Ich möchte wohl wissen, ob die Leute auch mit Besserem als mit Tänzen aufwarten können.«
»Fragen wir sie halt, mein Lieber!« erwiderte Eichstädt, und beide begaben sich in die Ecke des Salons, in der es sich die Musikanten wohl sein ließen.
»Ein Konzertstück, Euer Gnaden?« -- der Klarinettist zuckte mit den Achseln -- »nein, so weit haben wir's nicht gebracht. Aber der Lange da mit der Violine, wenn der aufgelegt ist, der kann's. Der ist ein Teufelskerl!«
Eichstädt ersuchte den Geiger, der gerade ein großes Glas Wein durch die Gurgel rinnen ließ, ein Solo zu spielen. Der Angeredete schob die schmutzige Halsbinde zurecht, zupfte an den Fetzen seiner welken Busenkrause; ein stolzes Lächeln überflog sein durchfurchtes, verkommenes Antlitz: »Sehr wohl, Euer Gnaden! Befehlen Sie Violine oder Klavier?«
»Klavier spielt Ihr auch?« rief Emanuel verwundert aus, indes der alte Musiker schon dem Instrument zuschritt. »Nun denn, Klavier!«
»Was wünschen Sie? Eine Sonate, eine Phantasie, eine Fuge?«
»Eine Phantasie!« bestimmte Frau von Eichstädt, ehe noch Emanuel Bach antworten konnte.
Der Alte begann. Es war ein einfaches Thema, abgerissen, verflatternd, so hingeworfen, wie wenn ein armer, wandernder Kerl auf der Landstraße ein schmuckloses Volkslied vor sich hinträllert. Die Melodie hatte etwas so kindlich Frisches, eine so ursprüngliche Heiterkeit an sich, daß die Zuhörer unwillkürlich lächeln mußten. Dazwischen fuhr's hin und wieder wie ein unendlicher Schmerz, und dann wandelte sich das Thema in schwermütige Klageseufzer einer einsamen, verlorenen Seele, die vor des Lebens Unwettern zagt, die sich aufbäumt zum Kampfe, zum letzten, äußersten Ringen, und unter des Schicksals Schlägen ächzend zusammenbricht und verklingt. Aber dem letzten Scheideton, der das ermattete Herz verläßt, vermählt sich ein fernes Klingen aus der Höhe, ein süßes Palmenrauschen aus besseren Sphären, das sich herniedersenkt und das wimmernde Elend mit unvergänglichen Blumen der Freude zudeckt. Die Scharen des Himmels steigen nieder, es kommt der heimgegangene Vater zu seinem Sohne, die Himmel träufeln den Nektartau der Genesung auf ihn, und aus den ewigen Urtiefen des Weltraums tönt es: »Kein Hälmlein wächst auf Erden ...«
Atemlos saß die Versammlung. Bis plötzlich Emanuel Bach aufsprang, bleich und entsetzt: »Das ist ... das kann nur mein Bruder Friedemann sein!«
Die beiden Männer blickten sich ins Auge, sie lagen weinend einander in den Armen. Frau von Eichstädt überkam es wie ein ferner, unmöglicher Traum; sie trat zu den Brüdern: »Um Gottes willen, Emanuel, sagen Sie, ist das wirklich -- Friedemann Bach?!«
Jäh fuhr der Musikant empor, wurde leichenblaß, er griff sich nach dem Herzen, starrte die Sprecherin an: »Die Stimme? ... Ah, Antonie! Antonie Brühl! ... Ja, Friedemann Bach ist's! In Lumpen! -- Weg, ich mag dich nicht sehen! Mich hat der Teufel hierher geführt!«
Er stürzte nach der Türe, schleuderte einen Diener, der ihm den Weg versperren wollte, beiseite und verschwand im Dunkel des Gartens.
Alle Nachsuche nach ihm blieb vergebens.
Und Moses Mendelssohn, der kleinwüchsige Mann und große Philosoph, sagte nachdenklich: »Ist der Geist über uns ein Gott der Rache oder ein Gott der Liebe?«
Kapitel XXIII
Man konnte es den Berlinern nicht verargen, wenn sie zwei seltsamen Figuren, die in den Mauern ihrer Stadt lebten, zwei Sonderlingen
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