Friedemann Bach
vorgekommen! Tut der Kerl nicht gerade, als wenn er der Herr Apollo selber wäre? Ich werde noch toll! Setz Er sich doch selber hin, zum Kuckuck, und spiel Er's besser! Aber arretieren laß ich Ihn, wenn Er nicht zeigt, wie man's machen muß, Er Skandalmacher!«
»Na, was haben Sie denn? Dazu bin ich hergekommen. Sperrt die Ohren auf, Herr Kapellmeister aus Dresden, damit Ihr den Schluß richtig hört!«
Naumann stand vor dieser gewichtigen Grobheit still, und der Musiker setzte sich ans Klavier. Der Kapellmeister reichte ihm die Noten hin, aber der Alte schob sie verächtlich beiseite: »Ach was, Unsinn, ich kenne den Bach auswendig!«
Er begann mit dem Spiel. Und nicht allein, daß er das Tonstück, in meisterhafter Beherrschung der Technik, mit dem Glanz einer unendlichen Reinheit und Innigkeit umzauberte, er fügte ihm auch einen Schluß bei, der, als Krone des Ganzen, nun erst die völlige Tiefe des Gedankens erschloß. Den Zuhörer erfaßte eine scheue Ehrfurcht vor der musikalischen Bedeutsamkeit des alten Mannes.
»Verzeihen Sie mir! -- Sagen Sie, wer sind Sie bloß, daß Sie solche Sachen spielen können und doch im Elend sitzen? Wie kommen Sie zu dem Schluß?«
Der Musiker erhob sich, er sagte, einfach und etwas schamhaft: »Ich muß meines Vaters Stücke wohl am besten kennen!«
»Friedemann Bach!« schrie Naumann auf, und Plümicke murmelte: »Das ist also der Verlorene!«
»Ja, ich bin's! Das ist mein Stolz, aber -- auch mein Elend!«
Die behäbige Gestalt des stolzen und berühmten Komponisten und Kapellmeisters krümmte sich zusammen; er bückte sich tief, nahm die Hand des bettelhaften Greises und drückte sie an seine Lippen. »Erlauben Sie mir, Herr Bach, daß ich Ihnen danken darf! Was ich geworden bin, wurde ich durch Sie, durch das hohe Beispiel, das Sie mir gaben! Erinnern Sie sich noch des Bauernjungen, der in Dresden immer auf den Chor kam, um Sie zu hören, des armen Tölpels, dem Sie so wohlwollten, der Sie besuchen durfte, den Sie immer wieder ermunterten? O, ewiger Gott, du führst uns wunderbare Wege! -- Das hier, Plümicke, ist der erste Musiker der Erde; keiner war größer, nur sein Vater!«
»Ich erinnere mich deiner noch sehr wohl, Naumann. Du bist ein tüchtiger Kerl geworden, und es freut mich, daß dir der Hochmut noch nicht ins Gehirn stieg und daß du mich nicht vergessen hast! Du wirst mir die Bitte erfüllen -- und der Herr Theaterdichter wird es wohl auch tun -- daß ihr aus Ehrfurcht vor meinem seligen Vater es jeder lebendigen Seele verschweigt, daß ein elender Kerl, wie ich, der Sohn des großen Sebastian ist. Seit ich Lumpen trage, habe ich meinen Namen abgelegt! Sollte mir aber Gott in meinen letzten Tagen noch vergönnen, ein Werk zu schaffen, von dem alle Welt fragt: ›Wer ist der Komponist?‹ -- dann will ich sagen: ›Ich bin's, Bachs Sohn!‹ -- So lange aber will ich ein Bettler bleiben, und Fluch dem ehrlosen Hund, der mich verrät!«
»Bei meiner Seligkeit, nie, mein Meister!« rief Naumann, und auch Plümicke beteuerte es. Als sich aber der Komponist, nicht ohne Zagen und Stocken, erkundigte, ob er, seinen ehrlichen Dank für erwiesene Wohltaten abzustatten, wohl imstande sei, mit irgend etwas zu dienen, bellte Friedemann ihn an: »Almosen?«, -- beherrschte sich jedoch sogleich und fuhr in gnädigem Ton fort: »Ich dank' Euch schön, Naumann! Jetzt nicht! Der Meister darf sich vom Schüler nicht protegieren lassen. Um Euch aber nicht wehe zu tun, will ich Euch sagen lassen, wenn ich einmal krank bin und mir gar nicht mehr helfen kann.« Er nickte herablassend und verschwand.
Plümicke stand sinnend. Er ahnte nun den Zusammenhang des Geheimnisses um Friedemann und Antonie, und ein plötzlicher Gedanke, wie dem Sohn Sebastian Bachs zu helfen sei, durchzuckte ihn. »Naumann, ich habe eine Idee! In einer Stunde bin ich zurück!«
Der Dichter eilte Friedemann nach und traf ihn gerade noch, als er über die Jägerbrücke schritt. »Ein paar Worte noch, geehrter Herr! Ich habe die Absicht, eine Oper -- oder besser: ein musikalisches Drama -- zu schreiben. Darf ich mir anmaßen, Sie um Ihre Beurteilung des Planes zu bitten? Vielleicht wären Sie sogar geneigt, die Komposition zu übernehmen, und ich hätte die Ehre, meine schlichten Verse durch Sie gekrönt zu sehen!«
Friedemann blieb stehen und lächelte in freudigem Stolz: »O, das ist gut! Das ließe sich hören!« Dann aber sah er den Poeten ernst und mißtrauisch an: »Und was wollen Sie bei der
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