Friedemann Bach
vergebens gegangen, mein Freund! Ach, diese stets neue Enttäuschung, das nagende Weh in mir: es ist schon eine harte Buße, die ich mir auferlegte! Und keine Aussicht auf Erlösung!« Die Tränen kamen ihr.
»Da ich ein alter Freund und Mitwisser Ihres Geheimnisses bin, fühle ich mich, meine liebe gnädige Frau, schon lange versucht, Ihnen das Nutzlose Ihres Beginnens vorzustellen, das Ihnen nichts als ewig neue Schmerzen und lieblosen Spott einbringt.«
»Das weiß ich, mein Bester! Glauben Sie ja, daß ich mir schon tausendmal alles das selbst sagte, was Sie mir sagen könnten!«
»Wenn er nun aber tot ist?«
»Es ist meine Bußpflicht, ihn solange für lebend zu halten, bis der Beweis seines Todes in meinen Händen ist. Selbst wenn er im äußersten Elend gelebt hätte, er kann nicht so vergessen wie ein anderer gestorben sein! Eine Seele wird doch von ihm wissen, ihm die müden Augen zugedrückt haben!«
»Muß er denn aber gerade hier, in Berlin, leben?«
»Er war hier! Ich habe ihn kurz nach meines Mannes Tod gesehen, verlor aber seine Spur. Er muß auch noch hier sein; denn in seinem Zustand konnte er nicht weiter. Ich muß ihn finden, lebend oder tot!«
Mendelssohn ergriff ihre Hand: »Es schmerzt mich, daß Ihnen nicht zu helfen ist.«
»Den Verdammten ist nicht zu helfen, Moses! Außer durch Gott! Die Vernunft, die Philosophie ist eine schöne Sache, aber für die Unglücklichen, die Herzkranken ist sie nichts! -- Und wenn mein Tun töricht ist, lassen Sie mich! Wenn ich gestorben bin, werde ich vernünftig sein!«
Sie nickte Mendelssohn zu und wandte sich nach der Türe, durch die der Kammerdiener zwei Besucher einließ, einen stattlichen Herrn von etwas hochmütiger Noblesse, der es jedoch an Gutmütigkeit nicht gebrach, den Komponisten Naumann, und ein hageres, bewegliches, kokett-zierliches Männchen, den königlichen Kapellmeister Reichardt. Kurz darauf erschienen noch Rode und Plümicke, der Dramaturg des Döbbelinschen Theaters, der sich durch seine »Miß Jenny Warton« und andere Bühnenstücke einen geachteten Namen erworben hatte.
Frau von Eichstädts sorgenbeschwerte Mienen glätteten sich zu konventioneller Höflichkeit; unter der erheuchelten Anteilnahme an der allgemeinen Unterhaltung verbarg sie die Zerrissenheit ihres Herzens. Erfrischungen wurden herumgereicht, und unversehens wollte das Gespräch vom Tagesallerlei ins Politische hinübergleiten. Mendelssohn winkte ab: »Bleiben wir bei dem, was uns hier zusammengeführt hat, meine Herren, bei der Kunst.« Er legte Reichardt, der sich in der Rolle eines Freigeistes und Republikaners besonders gefiel, die Hand auf die Schulter: »Im Reich der Musik sind Sie Herr und Meister, lieber Freund, aber von der Politik -- glauben Sie es mir! -- verstehen Sie nichts, -- und ich auch nicht. Die schönen Gefilde der Empfindungen, des rein menschlichen Fühlens und Denkens sind unser Besitz! Würde ich politisch, hörte ich auf, Philosoph zu sein. Und Sie?«
Nicht ohne Beschämung verfügte sich Reichardt zum Klavier und begann mit dem Vortrag seiner berühmten Arie: »Weh, unter allen Qualen«, in die Naumann dann mit seinem hübschen Bariton einfiel. Später setzte er sich selbst ans Instrument. Er intonierte eine Badische Sonate. Voll und rein strömten die Klänge unter den Fingern des Dresdener Meisters hervor, trug die Abendluft die zauberhaften Melodien durch die geöffneten Fenster weithin über den Dönhoffplatz.
Auf der Straße stand, unter einem Baum verborgen, ein stiller Zuhörer. Er schüttelte häufiger den Kopf, und als Naumann die Sonate beendete, rief er mit einer Stimme, die vor Mißbilligung bebte, laut zum ersten Stockwerk hinauf: »Falsch! Niederträchtig falsch! Den Schluß hat Bach niemals komponiert! Ein Pfuscher ist drüber gekommen!«
»Die Stimme kenne ich!« schrie Frau von Eichstädt auf und stürzte ans Fenster. »Er ist's! Moses, er ist's!«
Der Philosoph zog den Dramaturgen mit sich fort: »Rasch, Plümicke, kommen Sie! Den Menschen müssen wir haben!« Und auf der Treppe raunte er ihm zu: »Er ist, müssen Sie wissen, nämlich des großen Bachs Sohn Friedemann. Es bleibt aber bei Ihnen!«
»Auf Ehrenwort!«
Sie suchten den Dönhoffplatz ab, sie streiften durch die Leipziger Straße, die Kronenstraße, sie umschritten die Hausvogtei, bogen in die Oberwallstraße ein ... Sie fanden ihn nicht, den »alten Musikanten«.
Und sie konnten ihn auch nicht finden! Denn seine Behausung, in die er sich längst
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