Friedemann Bach
Umänderung des Wesens Friedemanns hin. Kein Mittel blieb unversucht, seine Überempfindlichkeit, seine Verachtung des »Menschengesindels«, seine Eigenliebe und grenzenlose Selbstüberschätzung, seinen Hang zum Nichtstun zu bekämpfen. Ihn sich selbst zu entreißen, ihn seinem Talent, dem Leben wiederzugeben, war Doles' und Ulrikes edles Ziel.
Friedemann machte ihnen ihr Liebeswerk nicht leicht, und oft mußte der Freund gehässige Worte über sich ergehen lassen: »Halt's Maul, Herr Thomasorganist! Du kannst leicht schöne Redensarten machen! Schimpftest auf meinen Vater und bist selber nur ein Esel, konntest aber sein warmes Nest recht hübsch einnehmen! Ein feiner Nachfolger! Beim Satan! -- willst du die paar Bissen, die ich hier esse, an mir abbläuen?!« Freilich reute ihn dann sein Benehmen im gleichen Augenblick und er fiel dem Freund um den Hals. »Ich bin ein gemeiner Lump, Bruder! Warum nur hast du mich aufgenommen?! Ach, verzeihe, ich bin zu unglücklich!«
Am besten wurde noch Ulrike mit ihm fertig, und sie brachte es auch dahin, daß er nach langen Jahren wieder Geschmack am Schaffen, am Komponieren fand. Die ersten Versuche fielen glücklich aus und spornten ihn zu neuer Tätigkeit an; eine Reihe von Kompositionen entstand, die allgemein bewundert wurden, weil sie dem Geist des toten Meisters nahekamen. Auch die Unterrichtsstunden, die Doles ihm verschafft hatte und die er regelmäßig wahrnahm, übten einen wohltätigen Einfluß auf ihn aus.
Ulrike, von den sichtbaren Erfolgen zu neuen Anstrengungen ermuntert, ließ Friedemann noch größere Fürsorge angedeihen und kam ihm dadurch auch innerlich näher. Je enger sich nun aber auch der Mann derjenigen anschloß, deren Liebe er einst verschmäht hatte, je mehr er ihren Frauenwert erkannte, desto tiefer entwickelte sich in ihm eine seltsame Art der Zuneigung, die in ihrer Mischung von Erinnerungsträumen an Towadei und nebelhaften Wirklichkeitsvorstellungen um Ulrike allmählich die Form eines sinnlichen Zwittergefühls annahm. Ulrike war weit davon entfernt, auch nur in Gedanken eine Untreue an ihrem Gatten zu begehen, aber die tragische Wirkung, die der in sich gebrochene erste Geliebte ihres Herzens auf sie ausübte, und der Wunsch, ihn ganz zu retten, versetzten auch sie in einen Zustand, der der Liebe nahekam.
Doles konnte das eigentümliche Verhältnis nicht verborgen bleiben; er war verzweifelt, brachte es aber nicht über sich, den Störer seines Glückes, den »Hausfreund«, wie ihn der Klatsch der Nachbarinnen bereits nannte, aus dem Hause zu jagen. Er wußte, dann verkam der Freund und ging im Elend unter. - Trotz festem Vorsatz und gutem Willen verließ ihn aber gleichwohl öfter die Selbstbeherrschung. Er wurde mürrisch und wortkarg, ohne es zu wissen; er war unfreundlich oder gar hart zu Ulrike, abweisend und bissig gegen Friedemann, ohne es zu wollen.
Langsam dämmerte in dem Ahnungslosen die Erkenntnis. Und als er eines Nachts später als gewöhnlich nach Hause kam und lautlos die Treppe zu seinem Stübchen hinaufstieg, hörte er aus dem ehelichen Schlafgemach verhaltenes Weinen und die Stimme Doles'. Er konnte sich nicht enthalten, das Ohr an die Zimmertür zu legen.
»So wahr ich meinem seligen Vater Frieden wünsche«, schluchzte gerade Ulrike, »ich habe nur Mitleid mit dem Unglücklichen! Gewiß liebe ich ihn noch, aber nicht, wie du meinst! Ich habe ihn gern wie eine Schwester den verlorenen Bruder!«
»O, wenn ich gewußt hätte«, antwortete der Gatte, »wie teuer ich seine Hilfe in Dresden dereinst würde bezahlen müssen, ich wäre lieber auf Stroh verendet! Friedemann, Friedemann, du bist mein Unglück!«
Der heimliche Horcher nickte vor sich hin. Er schlich weiter, in seine Stube, schnallte die alte Tasche um, klemmte seine Violine unter den Arm und tastete sich leise wieder treppab. Er schloß die Haustür auf, schloß sie zu, schob, wie vormals in seinen Jugendtagen, den Schlüssel durch die Lücke der ausgetretenen Schwelle.
Er drückte den Hut tief ins Gesicht und schritt davon.
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Zehn Jahre später.
Auf dem Landgut des Tribunal- und Hofrates Friedrich von Eichstädt wurde die Feier des Erntedankfestes begangen. Nie ließ es sich die Gutsherrschaft nehmen, während der Wochen, in denen der Segen des Ackers in die Scheunen strömte, der stickigen Hitze Berlins und dem Treiben der Residenz zu entfliehen, um in Begleitung einer Schar auserwählter Gäste sich in gesunder Landluft zu erholen.
Während die
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