Friedemann Bach
Bauern, angetan mit langem Rock und Lederhosen, sich im Dorfwirtshaus mit den Schönen im Tanze drehten, daß die schwarzen Bänder ihrer Hauben flatterten und die Henkeltaler am gebräunten Halse klingelten, saß die Gutsgesellschaft im Gartensalon des Sommerhauses in angeregter Unterhaltung. Die Fenster und Glastüren waren weit geöffnet, die würzige Sommerluft durchstrich den behaglichen Raum, und wenn der Blick der Versammelten sich von der Blumenpracht des parkartigen Gartens löste, so schweifte er über die Weite der Felder, Wiesen und Wälder bis hin zu den Potsdamer Bergen, die in der Ferne verdämmerten.
Die stattliche Dame des Hauses, Antonie von Eichstädt, reich, geistreich, liebenswürdig, trotz ihrem Alter noch jugendschlank und schön, sagte mit gerunzelten Brauen zu einem Gast: »Sie sind in ihren Urteilen zu bitter, lieber Bach, so gerecht ich sie auch in mancher Beziehung finde. Es ist wahr, unsere Berliner Musik ist im Sinken. Seit Graun tot ist und Seine Majestät, von Alter und Sorgen geplagt, nicht mehr so eifrig wie sonst der Kunst pflegt, entweicht die Muse langsam aus den Mauern. Reichardt und Benda können den großen Meister nun einmal nicht ersetzen. Gewiß, ihre Arbeiten sind durchaus kunstgerecht, aber zu verstandeskalt.«
»Verstandeskalt, meine Gnädige, das ist das rechte Wort! Und nicht etwa nur in Berlin, nein, überall in Deutschland ist die Musik jetzt so! Verzeihe mir's unser Freund« -- er machte eine Verbeugung gegen den neben ihm sitzenden und aufmerksam zuhörenden Moses Mendelssohn -- »aber unsere ganze jetzige Zeit ist verstandeskalt! Und die Musik ist nun einmal eine Herzenswissenschaft, die vor dem anatomischen Messer der Philosophie absterben muß. Mag es wie Arroganz im Munde des Sohnes klingen, aber ich behaupte, gnädige Frau, daß die ernste, die höchste Bedeutung der Musik, die der Kirche, seit meines Vaters Tode schlafen ging. Solange er lebte, war die Musik noch eine Macht der Glaubenslehre und in ihrer schönsten Mannbarkeit, jetzt, in der neuen Atmosphäre der Toleranz, ist sie erblichen!«
»Und wenn Sie das so lebendig fühlen«, warf Mendelssohn ein, »wenn Sie selbst wissen, was zur Wiederbelebung des Kirchenstils not tut, warum schaffen Sie nicht selbst Werke in diesem Sinne, da Sie doch schon so viel Schönes komponiert haben? Warum wollen Sie sogar von Berlin weggehen, diesem Zentralpunkt des Nordens, in dem allein alle Bestrebungen weitgreifende Wirkung haben?«
»Das allerdings, Verehrtester, schlägt mich! Es soll mich aber nicht abhalten, freimütig zu antworten. Wie sehr ich recht damit habe, daß jene Kunst wirklich verloren ist, erhellt daraus, daß auch ich viel zu sehr Mensch dieser Zeit bin, als daß ich meinem Vater nachstreben könnte. Einer allein, wenn er noch lebte, wäre fähig, meinen Vater wirklich zu ersetzen: mein Bruder Friedemann!«
Die Unterhaltung stockte. Frau von Eichstädt hatte sich betreten abgewandt; sie gab, da eben die Musik aus dem Dorf sich näherte, einem Diener Befehle.
Es war Brauch, daß die Bauern beim Herannahen des Abends ihrem Gutsherrn den Erntekranz brachten, der mit mancherlei Zeremonien und unter Musik im Flur des Edelhauses aufgehängt wurde. Man brachte das Wohl der Herrschaft aus und zog dann in die Schenke zurück, wo mit einem guten Trunk auf Kosten der Herrschaft und unter Sang und Tanz der Tag beschlossen wurde.
Einen Marsch aufspielend, erschienen die Musikanten im Gefolge des Kranzes, vor dem gewichtig der Bürgermeister einherschritt, und paarweise folgten fröhlich die Landleute. Der Schulze hielt seine Rede, der Erntekranz wurde mit Juchzen und Hallo aufgehängt, der Herr von Eichstädt bot der Schulzin, der Schulze der Gutsherrin zum herkömmlichen Ehrentanz, einem Zweitritt, den Arm.
»Wahrhaftig, die Leute spielen gar nicht übel! Ich habe noch keinen falschen Ton gehört!« bemerkte Emanuel Bach zu seinem Nachbarn, dem Historienmaler Bernhard Rode.
»Es sind böhmische Musikanten dem Aussehen nach«, stellte Mendelssohn fest, »sie sind ihres Talentes wegen bekannt und ziehen durch die ganze Welt.«
»Unseren jungen Freundinnen zuckt's in allen Gliedern. Sehen Sie nur, die kleine Geuder ist schon ganz Tanz!« lachte Rode.
»Nun, wenn ich wüßte, daß ein Impromptu der Gesellschaft wünschenswert wäre und die Musici etwas Vernünftiges aufspielen könnten, würde ich, während die Bauern hier ihren Umtrunk tun, ein
Entrement dansant
vorschlagen!« meinte Frau von Eichstädt
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