Friedemann Bach
war; sie sollten die künstlerische Spitze bilden und im Verlauf der Handlung überall anklingen. Friedemann gab überhaupt vielfache Anregungen für die Textgestaltung. Er war es, der, indem er rückhaltlos aus dem wildsprudelnden Born seiner eigenen Erlebnisse und Erfahrungen schöpfte, den handelnden Personen erst zur Geschlossenheit und tragischen Größe des Charakters verhalf, der durch spannungs- und leidenschaftsstarke Akzente den entscheidenden Auftritten die erschütternde Wirkung verlieh. Lasus, der liebende Held, bekam die Wesenszüge einer rauhen, selbstsüchtigen Friedemann-Natur, Lydie, die treulose und doch liebende, ewig den verlorenen Gegenstand ihrer Zärtlichkeit suchende Heldin glich Antonie, und in der Arie des Lasus, einer schwermütig-verzweifelten Klage um Lydies Untreue, weinte, auch musikalisch durch Anklänge an die Melodie des unvergeßlichen Zigeunerliedes ausgedrückt, der Sehnsuchtsschmerz um Towadei.
In rastlosem Fleiße war das Werk bis zum Ende des dritten Aktes gediehen, und nun wurde der vierte, letzte in Angriff genommen, der das tragische Wiederfinden von Lasus und Lydie im Tode darstellen sollte, das, wie Friedemann sagte, »mit dem Auflösen in die Harmonie des Jenseits« seinen Ausklang finden würde.
Aber das langsame Auflösen, das Näherrücken des Jenseits war es auch, was Friedemann täglich mehr spürte, und zu Ende des Winters stand er nicht länger ab, seine Krankheitsanfälle und schlimmen Befürchtungen Plümicke zu offenbaren. Dieser konnte sich der so augenscheinlichen Wahrheit des Vernommenen nicht verschließen, und er beschloß, ohne Zögern alles zu tun, um dem bemitleidenswerten Greise wenigstens einen letzten Lorbeerzweig um die todgezeichnete Stirne zu winden. Der Dramaturg war nicht nur die rechte Hand, er war auch der künftige Schwiegersohn Döbbelins, und so weihte er seine Braut in das Geheimnis des »alten Musikers« und sein eigenes Verhältnis zu diesem ein; er bat sie, den Vater zu vermögen, in einer Teilaufführung des Werkes, mit Bühnenbildern und in antiken Kostümen, die beiden Szenen mit den Liedern des Lasus und der Lydie herauszubringen. Mademoiselle Döbbelin war Feuer und Flamme, und da ihr die Rolle der Heldin selbst lag, da sie als ausgesprochener Liebling der Berliner das Publikum sozusagen in der Tasche hatte, fiel es ihr nicht schwer, den Vater für den Gedanken zu erwärmen. Herr Carl Theophilius Döbbelin entschloß sich, »das Ding zu probieren«.
Während der Nacht schrieb Plümicke die Partitur der beiden Szenen ab, der Kapellmeister André, dem man sagte, daß das Werk von einem hochgestellten Dilettanten sei, studierte die Musik und die Chöre ein, die Proben begannen. Da die beiden Auftritte einen Abend aber nicht ausfüllten und man nicht wissen konnte, ob die unbekannte Oper Zugkraft genug besitzen würde, gesellte man ihnen als gegensätzliche Ergänzung das Lustspiel »Der Egoismus«, nach dem Französischen des Cailhava, zu.
Friedemann hatte von dem in der Ausführung begriffenen Vorhaben keine Ahnung; der Dichter wollte ihm erst nach der Generalprobe, die am Vortag der Aufführung stattfinden sollte, Mitteilung machen. Der Alte arbeitete weiter, aber der vierte Akt ging ihm viel langsamer von der Hand als die anderen. Sein Übel steigerte sich von Tag zu Tag, und er mußte immer längere Pausen einlegen, um sich wieder zu erholen. Durch die Tätigkeit an der Oper verhindert, sonstigem Verdienst nachzugehen, und zu stolz und zartfühlend, um den hilfreichen Freund, der selbst nicht aus dem Vollen schöpfte, noch stärker in Anspruch zu nehmen, sah er keine Möglichkeit, der Dürftigkeit seiner Existenz auch nur in etwa zu steuern; es gab fast nichts mehr, was er nicht entbehrt hätte. Der Frühling mit seinem Ungestüm und brausenden Werden machte ihm besonders schwer zu schaffen, und in der letzten Maiwoche stand er einmal vor dem Spiegel, der in seinem Arbeitsraum, noch an dessen eigentliche Bestimmung erinnernd, hing und grüßte sein trauriges Ebenbild: »Ah, guten Tag, Herr Todeskandidat! ... Ja, ja! wenn alles so käme, wie wir's gewollt haben, wie schön wäre das Leben! Aber es kommt nicht so! Ewig streckt das Schicksal seine Teufelskralle dazwischen, schiebt uns mit Gewalt aufs schwankende Brett der Minute, bläst uns hirnverwirrende Leidenschaften ein, quält uns mit Erinnerungen, reibt uns jede Versäumnis unter die Nase, -- und sind wir endlich vernünftig geworden, treten wir auf den wahren Weg zu
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