Friedemann Bach
ersten Aufführung auf den Zettel setzen?«
»Nun, ganz einfach: ›Lasus und Lydie‹, dramatische Oper vom ›alten Musiker‹, Text von Karl Martin Plümicke.«
»Das ist was anderes! -- ›Lasus und Lydie‹ ... hm ... nun schön, wo wohnen Sie?«
»Behrenstraße 57.«
»Morgen nachmittag komme ich. Aber, ich finde Sie allein, und Sie schweigen über die Geschichte! Bis nach der Aufführung will ich ein namenloser Bettler bleiben. Guten Morgen!«
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Antonie wußte nunmehr, daß Friedemann noch lebte, und zwar in Berlin -- mehr nicht; Naumann wußte, daß der »alte Musikant« Friedemann Bach war -- mehr nicht. Nur Plümicke besaß ein größeres Wissen um die Dinge, aber er schwieg und ließ die »seltsame Witwe« weitersuchen und den Kapellmeister weiterraten. Er durfte sich vorerst nicht die Berechtigung zuerkennen, das Geheimnis zu entschleiern, aber er versäumte nichts, um das künstlerische Vorhaben, durch das Friedemanns Not fürs erste ja zu lindern war, störungslos durchzuführen. Nach erfolgreicher Erstaufführung ergab es sich dann von selbst, den Musiker der Verborgenheit zu entreißen und dem Kreis der Freunde zuzuführen.
Friedemann Bach kam jeden Mittag um zwölf Uhr zu dem Dramaturgen; sie aßen zusammen und arbeiteten dann bis in die sinkende Nacht. Zum Abschied tranken sie ein Glas Wein, und der Alte verschwand in der Dunkelheit.
Hatte Plümicke im Theater zu tun, so blieb Friedemann allein in der Wohnung. Der Dichter hatte ihm sein geräumiges Schlafzimmer eingerichtet und das Klavier hineingestellt, so daß er selbst dann ungestört schaffen konnte, wenn Besuch anwesend war. Der Autor der »Miß Jenny Warton« war Junggeselle; er konnte von seinen literarischen Arbeiten zwar höchst anständig, aber nicht im Überfluß leben, und Vermögen besaß er nicht. Wenn er nun auch alles tat, was in seinen Kräften stand, um den Musiker zu unterstützen, so blieb es doch wenig genug. Er teilte sein Essen und Trinken, seinen Tabak, auch einmal seine Wäsche mit ihm, mußte aber immer vorsichtig dabei verfahren, da Friedemann im Annehmen sehr empfindlich war. »Es ist ja alles nur geliehen, Herr Bach«, mußte er regelmäßig betonen, »wenn erst unsere Oper heraus ist, sind Sie ein gemachter Mann!«
»Wenn sie noch herauskommt!« antwortete der Alte dann ernst und nachdenklich. Er konnte sich nicht verhehlen, daß seine Kräfte Woche um Woche mehr nachließen. Hatte schon sein ewiges Wanderleben, das Dasein zwischen dem Staub der Landstraße und der Fuselluft einer Fuhrmannskneipe, zwischen Hunger und Überfluß, Elend und dem Schnapsglas der Vergessenheit seine Gesundheit untergraben, so machte sich bei der nunmehrigen verzweifelten Überanspannung seines Geistes und Körpers eine ernste Erkrankung stets fühlbarer bemerkbar. Er hatte das Gallenfieber.
Immer häufiger sackte er, wenn Plümicke nicht zugegen war, zusammen und verfiel dann oft in jenen zwiespältig-fatalistischen Seelenzustand, der seinem weggeworfenen und verlorenen Leben entwachsen war, ein Zustand, in dem er das ganze Sein als ein nur planloses Walten von Zufälligkeiten betrachtete, in dem alles ebensogut sein wie nicht sein konnte. Man hatte dieses eigentümliche Sein ganz einfach hinzunehmen, mit Gelassenheit, Humor und Ironie! Man war gläubig und verneinte, man negierte und glaubte doch, man gab sich auf und strebte dennoch, man vegetierte, arbeitete und tat doch nichts, man zerfetzte sich selbst und machte sich gleichwohl geltend. Was hatte alles noch für einen Sinn?! ...
Aus jedem solchen Zusammenbruch richtete Friedemann sich aber gewaltsam immer wieder auf. Scham, der alte Stolz, Sebastians Sohn zu sein, erwachten in ihm, bannten die Gleichgültigkeit, spornten Geist und Phantasie, trieben ihn an, die versiegenden Kräfte seinem letzten Werk zu weihen, um wenigstens im Sterben sagen zu können: »Ich habe mich wieder zu Ehren gebracht, mein Vater!«
Das Bühnenstück »Lasus und Lydie«, dessen Stoff Marmontel geliefert hatte, war eine eigenartige Arbeit, nicht Oper, nicht Drama, eigentlich aber doch beides. Plümicke hatte seine Dichtung zu einer Tragödie mit Chören gestaltet, die wieder auf die Bretter zu bringen Friedemanns Lieblingswunsch war, und dieser versah sie mit musikalischen Entreakten, den Dialog teilweise mit Musik, so daß das Ganze ein melodramatisches Gepräge erhielt. Zwei Szenen wurden so eingerichtet, daß ihm Gelegenheit zu zwei Liedern, eins für den Helden, eins für die Heldin, gegeben
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