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Friedemann Bach

Friedemann Bach

Titel: Friedemann Bach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Emil Brachvogel
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dem »unnützen Knecht« zum Grundtext der Predigt nahm, den armen Friedemann Bach mit seinem ganzen Haß. Er verlieh mit seiner wütenden Kapuzinade dadurch aber dem Streit, der bis jetzt noch den Charakter eines Geheimnisses getragen hatte, eine schrankenlose Öffentlichkeit.
    Das Opfer seines Grimms saß währenddessen regungslos im Orgelstuhl und hörte, bitter lächelnd, der eigenartigen Predigt dieses eigenartigen Gottesdieners zu. Wieder stürzten einige Pfeiler seines Kinderglaubens ein, und sein schmerzlich bewegter Geist wandte sich der Weltweisheit zu, in der er wenigstens Redlichkeit fand ...
    »Und wollet ihr wissen«, donnerte Spex gerade von der Kanzel herab, »wer schuld ist an dem Elend und der Herzenshärtigkeit dieser Zeit? Ich will's euch sagen! Das ist jener Newton, jener Leibniz, in denen Satan und Luzifer dem zehnfachen Höllenpfuhl entstiegen, um die Welt zu füllen mit allen Greueln des Unglaubens und der Verderbnis! Das ist jene ›Ratio‹, die alte Buhlerin von Babel, deren Mund voll ist von Atheismus und Lästerung! Aus ihrem Becher haben getrunken die Könige dieser Zeit, die den Unglauben und Afterwitz in Schutz nehmen und der reinen Lehre und Gottseligkeit ein Bein stellen! Sie sind's, die, weil sie selbst unnütz sind, unnützen Knechten das Pfund anvertrauen, das ihnen Gott gegeben, und ...«
    Alle Register hatte Friedemann gezogen, und ein Fortissimo, dessen Gewalt die Gewölbe der Kirche schier zu sprengen drohte, erstickte in einer Kaskade von Orgeltönen die Strafrede des Predigers. Noch einmal versuchte er, mit seiner eifernden Stimme durchzudringen, dann gab er das aussichtslose Bemühen auf und verließ die Kanzel.
    Vor der Kirchentüre sammelten sich dichte Gruppen gestikulierender Musensöhne, ehrsame Bürger und Bürgerinnen strebten kopfschüttelnd nach Hause; Wolff verließ die Kirche durch eine Seitentüre und gelangte unbemerkt an den Studenten vorüber, und auch Friedemann konnte sich einer Schar Anhänger schnell entziehen. Nur Spex wagte nicht, die Kirche zu verlassen, weil er gewisse »Liebesbeweise« der Wartenden befürchtete.
    Nach einer bangen Stunde erschienen endlich, vom Kanzler Wolff geschickt, die Pedelle in ihrer Amtstracht und ersuchten die Studierenden im Namen des Senats, sich durch keinen Zornesausbruch zu entehren und den rein geistigen Streit nicht in die Wirklichkeit hinüberzuziehen. Das wirkte.
    Die Studenten verließen den Platz und legten sich im »Saufloch« vor Anker, um zu beraten, was zu tun sei.
    Währenddessen ging Friedemann in seinem Zimmer unruhig auf und nieder. Etwas wie Reue, wie das Bewußtsein, nicht ganz vernünftig gehandelt, die Kunst des Lebens wieder einmal nicht recht begriffen zu haben, versetzte ihn in einen Zustand von Ärger, Schmerz, Verlegenheit und Besorgnis für seine Lage. Er hatte sich in einen Skandal verwickelt, der ihm schmachvoll für beide Teile erscheinen mußte, dessen Öffentlichkeit er fürchtete, zumal wenn er an seinen Vater dachte. Er würde ihm die unerquickliche Geschichte gern verheimlichen. Das aber war ihm selbst ein schlechtes Zeichen für sein Recht in dieser Sache, und doch konnte er nicht finden, daß er irgendwie unrecht gehandelt habe. Wenn ihm auch die klare Erkenntnis fehlte, so fühlte er doch instinktiv, daß die Ursachen der Auseinandersetzung tiefer lagen: daß sie in dem alten Streit zwischen Philosophie und Theologie zu suchen seien, in den sich beide Parteien erbittert und starrköpfig immer mehr verbissen hatten, und der zu einem offenen Ausbruch einmal kommen mußte. Schlimm war es eben nur, daß Friedemann zwischen die Gegner geraten war und selbst die Gefahr heraufbeschworen hatte, zwischen ihnen zerrieben zu werden. -- Uneins mit sich selbst, nahm er Hut und Stock und ging zu Wolff.
    »Das ist ein schlimmer Handel, lieber Bach!« meinte der mit keineswegs rosiger Laune. »Ist mir sehr unangenehm und kann für Sie Folgen haben, die wir uns nicht träumen lassen.«
    »Aber, mein Gott, was habe ich denn Übles getan? Habe ich nicht das Recht, die Orgel wie mein Vater zu gebrauchen? War es denn länger zu ertragen, die Wissenschaft, Sie selbst, sogar einen Fürsten beschimpft, zu sehen, dem wir alles verdanken?!«
    »Mein Gott, wer bestreitet denn das, Freund, daß uns unrecht geschehen ist? Aber ist das ein Grund, selbst ein solches zu begehen? Sie in Ihrer Stellung als Diener der Kirche durften sich unter keiner Bedingung, wenn Sie die Wissenschaft auch noch so sehr lieben, in

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