Friedemann Bach
grob, so seien Sie freundlich, ist er hochfahrend, seien Sie gelassen! Tun Sie im übrigen Ihre Schuldigkeit, seien Sie ein Philosoph für sich und besuchen Sie, wie gesagt, den alten Wolff nicht zu oft, es könnte Ihnen wirklich schaden, Bach. Jeder muß sich nach der Decke strecken!«
Friedemanns geradem Sinn kam es wie Heuchelei vor, daß er Wolff meiden und sich Leuten nähern sollte, die ihn abgestoßen hatten. Dennoch suchte er, seiner Stellung zuliebe, diese Annäherung zu bewirken und war in jeder Beziehung freundlich und gefällig. Er zwang sich dazu, die herausfordernden Blicke der Pastoren von St. Marien zu übersehen, wußte aber, daß ein Zusammenstoß mit seinem Unterorganisten Schnabel, er mochte sich biegen und schmiegen wie er wolle, unvermeidlich war. Schnabel, der zwar kein überragender, aber auch kein schlechter Organist war, hatte aus Berechnung die bucklige Schwägerin des Superintendenten geheiratet und dadurch, mit begründeter Aussicht auf baldiges Aufrücken in die Oberorganistenstelle, sein jetziges Amt erlangt. Bachs Auftauchen steckte seine Hoffnungen zurück, Bachs erstes Orgelkonzert zerstörte sie.
Für immer? War nicht Schwager Spex Superintendent, und konnte man ihn nicht veranlassen, wenigstens diese fatalen Orgelkonzerte des Konkurrenten, die solch rasenden Zulauf hatten, abzustellen? Waren diese rauschenden Tonphantasien noch Musik, wie sie der Heiligkeit des Ortes geziemte? -- Schnabels Aufstachelung fiel auf fruchtbaren Boden, und nach einem Samstags-Konzert wurde Friedemann im Beisein des Unterorganisten von Spex gestellt: »Herr Organist Bach! Ich habe schon zu mehreren Malen bemerkt, daß Ihr das Haus des Herrn dazu benutzt, sogenannte Orgelkonzerte zu exekutieren vor einer Masse Menschen, die nur dann in die Kirche gehen, wenn Ihr Eure Tonspektakel loslaßt. Das ist bisher nie in unserem ehrsamen Halle Sitte gewesen, und ich erkläre Euch kurz und ein für allemal, daß ich nicht dulden werde, daß unsere liebe Kirche solchem heidnischen Divertissement und Zeitvertreib diene. Ich untersage Euch hiermit den Gebrauch der Orgel, außer zum Gottesdienst. Ihr seid ein Diener und Knecht der Kirche, auf deren Geheiß Ihr zur Verherrlichung des Höchsten beitragen dürft, die Euch aber verbietet, Allotria zu treiben!«
Alles Blut wich Friedemann aus dem Gesicht. Er wollte aufbrausen, besonders, als er den neben sich stehenden, höhnisch lächelnden Schnabel sah, faßte sich aber und antwortete ruhig: »Mein Herr Superintendent! Ich weiß wohl, daß Sie mein Vorgesetzter sind und daß ich Ihnen in allen meinen Amtsverrichtungen Folge zu leisten habe. Soviel ich weiß, ist das bis dato auch pünktlich geschehen. Ich bin aber nicht nur Organist, ich bin auch -- Künstler, Herr Superintendent, und als solcher verwende ich während der Zeit, in der kein Gottesdienst stattfindet, die Orgel wie mir beliebt! Mein Vater gibt Orgelkonzerte, soviel ihm gutdünkt, und ein Orgelkonzert vor Seiner Majestät war's, das mir diese Stellung eintrug. Solange ich lebe, werde ich Orgel spielen, wann und vor wem ich will, -- oder ich rühre keine Taste mehr an! Dabei bleibt es!«
»Nein, dabei bleibt es nicht!« polterte der Theologe. »So weit sind wir noch nicht, daß die Kirche zum Baalsdienst, zum Sinnenkitzel gebraucht wird! Fehlt nur noch, daß man die Bänke hinausschmeißt und drinnen tanzt und säuft! Und 's wäre nicht einmal eine größere Schändung als Seine Satansmusik! Ob er vor Potentaten spielt, ob Er's Seinem Vater nachmacht, geht mich nichts an! Und fängt Er so was wieder an, laß ich Ihm die Kirchentüre durch die Polizei zusperren, das sage ich Ihm!«
»Und ich sage Ihm, daß Er ein Narr ist!«
»Sie wagen, Mensch?! ...Ich bin Superintendent und Ihr Vorgesetzter, Herr!«
»Ich bin Oberorganist und Musikdirektor zu Halle! Durch den König! Und ich bin Künstler!«
»Ich werde mich in Berlin über Sie beklagen! Sie spielen keinen Ton mehr in meiner Kirche!«
Aufs höchste empört und erregt, erzählte Friedemann noch am gleichen Abend Wolff den ganzen Verlauf der Sache; dieser riet zur Mäßigung, sagte aber bereitwillig seine Hilfe zu, falls sie sich als notwendig erweisen sollte.
Immer noch ärgerlich, aber doch beruhigt und ermutigt, schlenderte er der Marienkirche zu, in deren Nähe er im Talhaus seine Amtswohnung hatte; er überdachte sein künftiges Verhalten in dem ausgebrochenen Streit. Auf seinem Wege kam er am Marktplatz vorüber, an dem, an der Ecke der
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