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Friedemann Bach

Friedemann Bach

Titel: Friedemann Bach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Emil Brachvogel
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beides werden: eine religiöse Oper, die aber über den Raum der Bühne hinausging und nur in der Kirche aufzuführen war. Er wollte in dieser riesigen Tontragödie die Entstehung der Verneinung, das Werden des Schattens aus dem Licht, den furchtbaren Kampf beider Gegensätze, die tragische Vernichtung Luzifers durch den Herrn, der Finsternis durch das Licht, und die endliche Harmonie und Versöhnung beider Prinzipien darstellen ...
    Je mehr das Werk fortschritt, je zwingender und unbedingter zog es ihn zur Weiterführung in die Stille seines Arbeitszimmers. Dann flog die Feder übers Papier, bald am Text, den er selber dichtete, feilend und verbessernd, bald komponierend; dann sangen und klangen, wimmerten und weinten, jauchzten und jubelten die Saiten. Und über allem Tun strahlten, oben aus dem kleinen Bild über dem Klavier, die schönen Augen der Astrua wie leuchtende Sterne.
    Ihr gehörte dieses Werk! Und wenn er es nächstens in ihre Hände legen und sagen würde: »Ich habe deine Worte nicht vergessen! Immer lag mir im Ohr: daß du zu sehr Künstlerin seiest, um nicht im größten Musiker den liebenswertesten Mann zu sehen!« -— dann würden diese Hände, diese lieben Hände, sich warm und weich um seinen Nacken legen, und er würde wissen, daß er dieser liebenswerteste Mann ist, weil er der größte Musiker war.
    Zu Ende des Jahres 1749 war die erste Abteilung des »Luzifer« beendet, und Friedemann beeilte sich, die Geliebte mit der Zusendung der Partitur zu überraschen. In siegesfroher, glücklicher Erwartung fieberte er der Antwort entgegen, und sie ließ nicht lange auf sich warten.
    »Mein Bester! -— Anbei erfolgt der erste Teil Ihres »Luzifer« dankbarst zurück. Ich würde es für ein Verbrechen an der Kunst wie an Ihnen halten, unehrlich zu sein und Sie mit Schmeicheleien zu betrügen. Das Werk enthält viele Schönheiten, -— Schönheiten, deren Größe mich erschreckt, wie ich sie aber (nach meinen Begriffen) in der Kunst nicht wünschen kann. Ich bekenne, daß ich die ganze Tondichtung nicht verstehe! Obwohl Sie mir in Ihrem Begleitschreiben sogar den Plan des Ganzen auseinandersetzen, verstehe ich sie nicht! Das ist überhaupt kein musikalischer Stoff; denn selbst wenn man ihn verstehen könnte, müßte man wünschen, ihn nie gehört zu haben! Ich beklage aufrichtig, daß Sie sich künstlerisch so verirrt haben. Und nachdem ich die Überzeugung gewonnen habe, daß Sie von dem, was ich von Ihnen erhoffte, weiter entfernt sind als je, scheide ich von Ihnen mit dem Wunsche, daß Gott Sie in seinen Schutz nehmen möge! Leben Sie wohl! -- Ergebenst Astrua.«
    Aus dem in Liebe, Freude, Glück und Stolz traumhaft emporgeglühten Morgenrot eines neuen Daseins jählings in finsterste Nacht gerissen, brach er mit einem Schrei der Verzweiflung zusammen.
    Es war Nacht, als er sich vom Boden erhob. Mühsam zündete er ein Licht an und sah sich wirr in der öden Stube um. Auf der Erde lag das Manuskript des »Luzifer«. Er hob es auf, schritt zum Ofen und warf es auf die halberloschene Kohle. Hell loderte die Flamme auf. Er hockte da, sah zu, wie seine Schöpfung sich bäumte und wand, in Asche zerfiel; er kicherte. Und dann sang er in näselndem Tone: »Willst du dein Herz mir schenken?«
    Seitdem sagten die Leute: »Dem Friedemann Bach ist's nicht richtig im Kopf!« Er war nicht eigentlich wahnsinnig, aber wenn »es« über ihn kam, vollführte er die tollsten Streiche. Eine Weile sah man zu, dann wurde er für amtsuntauglich erklärt.
    Und noch einmal leuchtete sein guter Stern. Er erhielt, ohne daß er etwas dazu getan hätte, das Patent eines Hessen-Darmstädtischen Kapellmeisters.
    Er zerriß es! Und wie er ging und stand, schritt er zum Leipziger Tor hinaus. Irgendwohin ...
     

Kapitel XX
     
    Unschlüssig stand der Wanderer am Kreuzweg. Die Julisonne brannte in voller Mittagsglut auf ihn nieder, und als er den verwitterten Hut abnahm, um sich den rinnenden Schweiß wegzuwischen, fiel ein Gewirr von schwarzen Haaren in sein zerfurchtes Gesicht. Wetter und Wind, denen es viel und lange ausgesetzt gewesen sein mochte, hatten es braun gegerbt; tiefe Falten um die Mundwinkel erzählten von Leid und Qual und vieler Not.
    In der Ferne neckte sich ein leiser Wind mit einem Staubbällchen, drehte es um sich selbst und tanzte es küselnd über die Landstraße. Die Blicke des Mannes, leer und doch von einem seltsam tiefen Glanz durchleuchtet, folgten dem wirbelnden Wölkchen, bis es an dem Balken des

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