Friedemann Bach
deren Streitigkeiten mischen! Geben Sie acht, was nun geschieht! Die Studenten werden nicht ruhig sitzen; ich kenne das, und ich werde alle Hände voll zu tun haben, um Exzesse zu unterdrücken.«
Nun erst eröffnete sich Friedemann die ganze Tragweite seines unklugen Benehmens. »Aber, mein Gott, Illustrissimus, was kann ich denn tun, was hätte ich denn vermeiden sollen?«
»Sie wissen, bester Bach, wie lieb ich Sie habe. Ich achte Sie als Künstler wie als Mensch und schätze Ihre wissenschaftliche Reife. Was Ihnen aber fehlt, ist Lebensklugheit. Wes Brot ich esse, des Lied ich singe! So sehr Sie Philosoph sind, müssen Sie sich doch sagen, daß Ihre Kunst allein in der Theologie, im kirchlichen Ritus ihre Wurzeln hat. Als Musiker können Sie gar nicht fromm genug sein, aber sehr leicht zu spekulativ, das müssen Sie sich klarmachen. Nun, ändern läßt sich das Geschehene nicht, aber es muß wenigstens alles vermieden werden, was den Skandal noch weiter ausdehnen kann. Da Sie nun leicht in den Fall kommen können, für die Wissenschaft bluten zu müssen -- Spex wird nicht versäumen, Sie in Berlin anzuschwärzen -- werde ich meinerseits, sobald man etwas gegen Sie im Schilde führt, einen ausführlichen Bericht an die Behörde senden, um Sie vor den Folgen zu schützen. Sie sind in der öffentlichen Meinung nun einmal auf unsere Seite getreten, so sehr Sie auf die andere gehören! Versäumen Sie daher von nun an keine Gelegenheit, um zu beweisen, daß Sie kein Gegner jener Leute sind! Im übrigen wird die Wahrheit der Wissenschaft auch ohne Sie siegen! Wenn Sie in Ihrer Stellung für sie kämpfen wollen, wird Ihnen wie der Sache nur geschadet. Nehmen Sie das als aufrichtige Meinung eines alten Mannes, der Ihnen wohl will!«
Als Friedemann Wolffs Haus verließ, war es bereits dunkel geworden, aber in den Straßen herrschte noch ungewöhnlich reges Leben. »Die Studenten bringen Wolff und Bach einen Fackelzug, der Spex kriegt ein Pereat«, flüsterten die Leute und standen erwartungsvoll vor den Türen. Auf dem Markt, um des Pastors Amtswohnung, am Talhaus und beim »Saufloch« lagerten dichte Massen und harrten der kommenden Dinge.
Spex, der von dem, was ihm bevorstand, Wind bekommen hatte, war von den »Schwarzen« umgeben, die nicht versäumt hatten, zum Schutze der Theologie die Schläger mitzubringen. Das Hauptquartier der Gegner befand sich im »Saufloch«, und als Wolff von dem Beginn ihrer Vorbereitungen erfuhr, schickte er zwei Pedelle und ließ die Herren Seniores zu einer Unterredung zu sich bitten. Diese leisteten, von den Korpsbrüdern begleitet, der Einladung sofort Folge.
Wolff empfing sie mit der liebenswürdigen Versicherung, daß er die Ehre, die man ihm zugedacht, wohl zu schätzen wisse und aufrichtig dafür danke. Gleichwohl müsse er bitten, sie als empfangen ansehen zu dürfen. »Immer schon habe ich in den verehrlichen Landsmannschaften« -- so endete er -- »den Hort der Wissenschaft gesehen, und gerade deshalb darf ich nahelegen, gleich dem Löwen in der Fabel, des Hasen zu schonen und mir zuliebe von jeder Demonstration abzusehen. Bedenken Sie, meine Herren Kommilitonen, daß die Philosophie sich selbst entehrt, wenn sie am Feind nicht stolze Großmut übt!«
Restlos konnte der Kanzler mit seinem Appell die aufgeregten Gemüter allerdings nicht beruhigen. Wenigstens dem Mann, der sich so mutig und entschieden zur Sache der Wissenschaft bekannt hatte, wollten die Landsmannschafter eine sichtbare Anerkennung zuteil werden lassen. Sie zogen vor das Talhaus und brachten dem Herrn Musikdirektor ein Ständchen mit tosendem Vivat. -- Friedemann ließ sich gefallen, was zu verhindern er nicht in der Lage war; verlegen stammelte er ein paar Dankesworte.
Unglücklicherweise wohnte nebenan der Unterorganist Schnabel. Verärgert über die neue Ehrung seines Widersachers, erbittert über die nebensächliche Rolle, die er im Parteienstreit bislang gespielt hatte, vertrauend auf die Hilfe der »Schwarzen«, die irgendwo auf der Lauer liegen mußten, riß er das Fenster auf: »Ich verbitte mir hier jede Ruhestörung und ermahne Sie, wie sich's für anständige junge Leute geziemt, nach Hause zu gehen!«
»I, das ist ja der krummbeinige Schnabel!« tönte es im Chor dem verwegenen Rufer entgegen. »Haut doch dem Kerl das Leder voll!« Und unter schallendem Gelächter schickte man sich an, die Haustüre zu erbrechen. Jetzt aber zeterte die entsetzte Ehegenossin auf den aschfarbenen Gatten los, der
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