Friedhof der Kuscheltiere
»Notfalls auf Warteliste -- Hauptsache, ich komme nach Bangor.«
»Gut, Madam. Bitte bleiben Sie am Apparat.« In der Leitung wurde es still.
Rachel schloß die Augen, und einen Augenblick später spürte sie eine kalte Hand auf ihrem Arm. Sie schlug die Augen wieder auf und sah Ellies Gesicht. Irwin und Dory standen beieinander, redeten leise und sahen sie an. So, wie man Leute ansieht, von denen man glaubt, sie hätten den Verstand verloren, dachte Rachel erschöpft. Sie brachte für Ellie ein Lächeln zustande.
»Laß dich nicht von ihnen zurückhalten, Mommy«, sagte Ellie leise. »Bitte.«
»Ich denke nicht daran, große Schwester«, sagte Rachel und dachte noch im gleichen Moment daran, daß sie Ellie so genannt hatten, seit Gage geboren war. Jetzt gab es niemanden mehr, dessen große Schwester sie war.
»Danke«, sagte Ellie.
»Es ist sehr wichtig, nicht wahr?«
Ellie nickte.
»Ich glaube es auch, Liebling. Aber du könntest mir helfen, wenn du mir mehr erzähltest. Ist es nur der Traum?«
»Nein«, sagte Ellie. »Jetzt -- jetzt ist es einfach alles. Es geht überall durch mich hindurch. Kannst du es nicht spüren, Mommy? So etwas wie...«
»Wie ein Wind.«
Ellie zitterte und seufzte.
»Aber du weißt nicht, was es ist? Du weißt nicht mehr, was in deinem Traum geschehen ist?«
Ellie dachte angestrengt nach und schüttelte dann zögernd den Kopf.
»Daddy. Church. Und Gage. Das weiß ich noch. Aber ich weiß nicht, wie sie zusammengehören, Mommy!«
Rachel schloß sie fest in die Arme. »Es kommt alles wieder in Ordnung«, sagte sie, aber das Gewicht auf ihrem Herzen wurde nicht leichter.
»Hallo, Madam«, sagte das Mädchen im Buchungsbüro.
»Ja?« Rachel faßte Ellie und den Telefonhörer fester.
»Ich glaube, Sie können nach Bangor kommen, aber es wird sehr spät werden.«
»Das macht nichts«, sagte Rachel.
»Haben Sie einen Stift? Es ist kompliziert.«
»Ja, den habe ich«, sagte Rachel und holte einen Bleistiftstummel aus der Schublade. Zum Schreiben benutzte sie die Rückseite eines Briefumschlags. Als das Mädchen fertig war, lächelte sie ein wenig und formte mit Daumen und Zeigefinger ein O, um Ellie zu zeigen, daß es klappte. Daß es wahrscheinlich klappte, korrigierte sie sich. Einige Anschlüsse waren sehr knapp -- vor allem in Boston.
»Bitte buchen Sie alles«, sagte Rachel. »Und vielen Dank.«
Kim notierte Rachels Namen und die Nummer ihrer Kreditkarte. Dann legte Rachel den Hörer auf, ermattet, aber erleichtert. Sie sah ihren Vater an. »Daddy, fährst du mich zum Flughafen?«
»Vielleicht sollte ich es nicht tun«, sagte Goldman. »Ich glaube, ich sollte dieser Verrücktheit einen Riegel vorschieben.«
»Untersteh dich!« rief Ellie schrill. »Es ist nicht verrückt. Ganz und gar nicht!«
»Fahr sie, Irwin«, sagte Dory leise in die Stille, die darauf folgte. »Ich werde allmählich auch nervös. Und ich werde mich erst besser fühlen, wenn ich weiß, daß mit Louis alles in Ordnung ist.«
Goldman starrte seine Frau an; endlich wandte er sich zu Rachel um. »Ich fahre dich, wenn du es unbedingt willst«, sagte er. »Ich -- Rachel, ich fliege mit, wenn du es möchtest.«
Rachel schüttelte den Kopf. »Danke, Daddy, aber ich habe überall die letzten Plätze bekommen. Als hätte Gott sie für mich freigehalten.«
Irwin Goldman seufzte. In diesem Augenblick sah er sehr alt aus, und Rachel fand plötzlich, daß er Jud Crandall ähnelte.
»Du hast noch Zeit, eine Tasche zu packen, wenn du willst«, sagte er. »Wir können in vierzig Minuten am Flughafen sein, wenn ich die Strecke nehme, die wir nach unserer Hochzeit gefahren sind. Gib ihr deine Reisetasche, Dory.«
»Mommy?« sagte Ellie. Rachel drehte sich zu ihr um. Ellies Gesicht war jetzt schweißglänzend.
»Ja, Liebling?«
»Sei vorsichtig, Mommy«, sagte Ellie. »Bitte, sei vorsichtig.«
49
Die Bäume waren nur noch bewegte Schatten vor einem bedeckten, vom nahen Flughafen erleuchteten Himmel. Louis parkte den Honda an der Mason Street, die am Südende des Pleasantview-Friedhofs entlanglief; hier war der Wind so stark, daß er ihm fast die Wagentür aus der Hand gerissen hätte. Er konnte sie nur mit Anstrengung zuschlagen. Der Wind zerrte an seiner Jacke, als er die Hecktür des Honda hochklappte und sein Werkzeug herausholte, um das er ein passend zugeschnittenes Stück Segeltuch gewickelt hatte.
Er stand im Schattenbereich zwischen zwei Straßenlaternen, stand mit dem in Segeltuch eingewickelten
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