Friedhof der Kuscheltiere
Bündel im Arm am Bordstein und sah sich sorgfältig nach Wagen und Passanten um, bevor er zu dem schmiedeeisernen Zaun hinüberging, der den Friedhof begrenzte. Wenn irgend möglich, wollte er nicht gesehen werden, nicht einmal von jemandem, der ihn bemerkte und in der nächsten Sekunde bereits wieder vergessen hatte. Über ihm ächzten die Äste einer alten Ulme rastlos im Wind, und Louis mußte an Gehenkte denken, Opfer einer willkürlichen Lynchjustiz. Gott, er hatte solche Angst. Das war nicht nur ein wüstes, das war ein irrsinniges Werk.
Kein Verkehr. Die Laternen der Mason Street warfen weiße Lichtkreise aufs Pflaster, richteten Punktstrahler auf den Gehsteig, auf dem wochentags nach Schulschluß die Jungen von der Fairmount Grammar School Rad fuhren und die Mädchen sich mit Seilspringen und ›Himmel und Hölle‹ vergnügten, ohne sich um den nahe gelegenen Friedhof zu kümmern -- außer vielleicht an Halloween, wo er einen gewissen, gruseligen Reiz auf sie ausüben würde. Vielleicht wagten sie es sogar, die Vorstadtstraße zu überqueren und an einem der schmiedeeisernen Riegel des hohen Zauns ein Papierskelett aufzuhängen.
»Gage«, murmelte er. Gage war dort drinnen, hinter diesem schmiedeeisernen Zaun, zu Unrecht gefangengehalten unter einer Decke aus dunkler Erde. Ich hole dich heraus, Gage, dachte er. Ich hole dich heraus, mein Junge, wenn mich der Versuch nicht das Leben kostet.
Louis überquerte mit dem schweren Bündel im Arm die Straße; auf dem anderen Gehsteig blickte er wieder in beide Richtungen und warf dann die Segeltuchrolle über den Zaun. Sie klirrte ein wenig, als sie drinnen aufschlug. Louis wischte sich den Staub von den Händen und ging weiter. Er hatte sich den Platz genau gemerkt. Wenn er ihn vergäße, brauchte er nur an der Innenseite des Zauns entlangzugehen, bis zu der Stelle, an der sein Wagen stand, und dort würde er darüber stolpern.
Ob das Tor so spät noch offen war?
Er ging die Mason Street bis zu den Ampeln hinunter, der Wind trieb ihn voran und riß an seinen Füßen. Die Schatten auf der Straße waren in ständiger Bewegung.
Er bog in die Pleasant Street ein, immer dem Zaun folgend. Das Scheinwerferlicht eines Autos überflutete die Straße, und Louis verschwand im Schatten einer Ulme. Es war kein Polizeifahrzeug, nur ein Lieferwagen, der in Richtung Hammond Street fuhr, wahrscheinlich zur Schnellstraße. Als er ein gutes Stück entfernt war, ging Louis weiter.
Natürlich war es offen. Es mußte offen sein.
Er erreichte das Tor, ein schmiedeeisernes Gebilde in Form einer Kathedrale, schlank und anmutig im ständigen Wechsel von Schatten und Licht der Straßenlaternen. Er griff zu und versuchte es zu öffnen.
Verschlossen.
Natürlich ist es verschlossen, du Idiot -- glaubtest du tatsächlich, jemand ließe die Friedhofstore in irgendeiner amerikanischen Stadt nach elf Uhr abends offen? So vertrauensselig, alter Freund, ist heutzutage niemand mehr. Und was nun?
Jetzt würde er über den Zaun klettern und darauf hoffen müssen, daß niemand den Blick lange genug vom Fernseher abwandte, um zu bemerken, wie er sich über den Zaun mühte -- der langsamste, älteste Grabschänder der Welt.
Hallo, Polizei? Ich habe eben gesehen, wie der langsamste, älteste Grabschänder der Welt über den Zaun des Pleasantview-Friedhofs geklettert ist. Schien es verdammt eilig zu haben. Ob ich Witze mache? Nein, die Sache schien todernst. Vielleicht sollten Sie einmal nachschauen.
Louis ging weiter die Pleasant Street entlang und bog an der nächsten Kreuzung rechts ab. Der hohe Eisenzaun zog sich unerbittlich neben ihm hin. Der Wind kühlte die Schweißtropfen auf seiner Stirn und in den Schläfengruben. Das Licht der Straßenlaternen ließ seinen Schatten abwechselnd kleiner und größer werden. Hin und wieder warf er einen Blick auf den Zaun, dann blieb er stehen und zwang sich, ihn genau anzusehen.
Da willst du drüberklettern? Daß ich nicht lache!
Louis Creed war kein Zwerg, er maß fast 1,85 Meter, aber der Zaun war knapp drei Meter hoch, und jeder der schmiedeeisernen Stäbe endete in einer dekorativen, pfeilförmigen Spitze. Dekorativ -- freilich nur so lange, bis man abglitt, wenn man gerade ein Bein darüber schwang und die Gewalt plötzlich abstürzender hundert Kilo bewirkte, daß sich eine dieser Pfeilspitzen in die Lende bohrte und die Hoden bersten ließ. Und dann würde er da hängen, aufgespießt wie ein Ferkel bei einer Grillparty, und schreien, bis
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