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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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eine alleinstehende Frau, eine verheiratete Frau, eine geschiedene Frau. Er sah sich einen Film nach dem anderen an, saß in seinem Motelzimmer und blickte hin und wieder hinaus in die stürmische Nacht.
    Als die Elf-Uhr-Nachrichten kamen, schaltete er den Fernseher ab und ging hinaus, um zu tun, wozu er sich vielleicht schon in dem Augenblick entschlossen hatte, in dem er Gages Baseballkappe voll Blut auf der Straße liegen sah. Die Kälte hatte ihn wieder überfallen, stärker als zuvor, aber es lag etwas darunter -- eine schwelende Glut aus Eifer oder Leidenschaft, vielleicht sogar Begierde. Einerlei. Sie wärmte ihn in der Kälte und hielt ihn im Wind zusammen. Als er den Motor des Honda anließ, dachte er, daß Jud vielleicht recht gehabt hatte, als er von der wachsenden Macht des Ortes sprach, denn jetzt spürte er sie auch; sie leitete (oder zog) ihn voran, und er fragte sich:
    Könnte ich es noch lassen? Könnte ich es lassen, selbst wenn ich es wollte?

 48
    »Was willst du?« fragte Dory noch einmal. »Rachel, du bist überreizt -- eine Nacht Schlaf...«
    Rachel schüttelte nur den Kopf. Sie konnte ihrer Mutter nicht erklären, warum sie zurück mußte. Das Gefühl war in ihr angeschwollen, wie der Wind anschwillt -- zuerst wogt das Gras, kaum merklich; dann beginnt die Luft, sich schneller und härter zu bewegen, bis es keine Stille mehr gibt; dann werden die Böen so kräftig, daß der Wind am Dachgesims gespenstisch kreischende Laute erzeugt; dann läßt er das ganze Haus erbeben, und man begreift, daß es sich um etwas wie einen Hurrikan handelt und daß der Wind, wenn er noch mehr anschwillt, alles zum Einsturz bringen wird.
    In Chicago war es achtzehn Uhr. In Bangor setzte sich Louis gerade hin, um sein Abendessen zu verzehren. Rachel und Ellie hatten in ihrem Essen nur herumgestochert. So oft Rachel den Blick vom Teller hob, sah sie den dunklen Blick ihrer Tochter auf sich ruhen, sah sie fragen, was sie tun wollte, um Daddy zu helfen, sah sie fragen, was sie tun würde.
    Sie wartete darauf, daß das Telefon läutete, daß Jud anrief und ihr sagte, Louis wäre nach Hause gekommen. Einmal läutete es tatsächlich -- sie sprang auf, und Ellie hätte fast ihre Milch verschüttet --, aber es war nur eine Dame aus Dorys Bridgeclub, die wissen wollte, ob sie gut angekommen wären.
    Sie saßen gerade beim Kaffee, als Rachel plötzlich ihre Serviette beiseitewarf und sagte: »Dad -- Mom -- es tut mir leid, aber ich muß nach Hause. Noch heute abend, wenn ich noch ein Flugzeug erreiche.«
    Ihre Mutter und ihr Vater hatten sie fassungslos angestarrt, aber Ellie hatte die Augen geschlossen wie ein Erwachsener, der seiner Erleichterung Ausdruck gibt -- wenn ihre Haut nicht so wächsern und angespannt gewesen wäre, hätte es fast komisch ausgesehen.
    Sie konnten es nicht verstehen, und Rachel konnte es ihnen ebenso wenig erklären, wie sie hätte erklären können, auf welche Weise ein Lüftchen, so schwach, daß es kaum die Spitzen kurzer Grashalme bewegt, derart an Kraft gewinnen kann, daß es schließlich ein Haus aus Stahlbeton umreißt. Jetzt glaubte sie nicht mehr, daß Ellie irgendwo eine Nachricht vom Tod Victor Pascows gehört und in ihrem Unterbewußtsein abgelegt hatte.
    »Rachel, meine Liebe.« Ihr Vater sprach langsam, freundlich, wie zu jemandem, der sich im Zustand einer vorübergehenden, aber gefährlichen Hysterie befindet. »Das ist doch nur eine Reaktion auf den Tod deines Sohnes. Du und Eileen, ihr reagiert beide sehr stark darauf, und wer könnte euch daraus einen Vorwurf machen? Aber du wirst zusammenbrechen, wenn du versuchst...«
    Rachel antwortete nicht. Sie ging zum Telefon in der Diele, schlug das Branchenbuch unter FLUGLINIEN auf und wählte die Nummer von Delta; Dory stand neben ihr, beschwor sie, es sich noch einmal zu überlegen, man müßte darüber reden, vielleicht ein paar Notizen machen... und an ihrer anderen Seite stand Ellie mit immer noch dunklem Gesicht, aber jetzt aufgehellt von so viel Hoffnung, daß Rachel wieder Mut faßte.
    »Delta Airlines«, meldete sich eine Stimme. »Mein Name ist Kim. Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    »Ich hoffe es«, sagte Rachel. »Es ist außerordentlich wichtig, daß ich heute nacht noch von Chicago nach Bangor komme. Es handelt sich um einen Notfall. Können Sie die Verbindung für mich durchchecken?«
    Zweifelnd: »Natürlich, Madam, aber es ist sehr kurzfristig.«
    »Bitte, versuchen Sie es«, sagte Rachel mit leicht brüchiger Stimme.

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