Friedhof der Kuscheltiere
seiner Zigarette zu einem kleinen, roten Punkt in der Dunkelheit. Er saß da, trank Bier und behielt Louis' Auffahrt im Auge. Wenn Louis von da, wo immer er sein mochte, nach Hause kam, würde er hinübergehen und ein paar Worte mit ihm reden. Er würde sich vergewissern, daß Louis nicht vorhatte, etwas zu tun, das er nicht tun durfte.
Dabei spürte er ständig, wie etwas an ihm zerrte, diese elende Macht, die diesem teuflischen Ort innewohnte, und die von ihrem Plateau aus verwittertem Gestein herabgriff, auf dem all diese Male errichtet worden waren.
Halt dich da raus. Halt dich da raus, oder du wirst es bitter bereuen.
Jud ignorierte es, so gut er konnte; er saß da, rauchte, trank Bier. Und wartete.
47
Während Jud in seinem Schaukelstuhl mit der Sprossenrücklehne saß und durch sein Erkerfenster nach ihm Ausschau hielt, verzehrte Louis im Speiseraum des Howard Johnson-Motels ein großes, geschmackloses Abendessen.
Das Essen war reichlich und fade -- genau das, was sein Körper zu brauchen schien. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Die Scheinwerfer der vorüberfahrenden Autos glichen tastenden Fingern. Er schaufelte das Essen in sich hinein. Ein Steak. Eine gebackene Kartoffel. Bohnen von einem so leuchtenden Grün, wie es die Natur nie hervorgebracht hätte. Ein Stück Apfelkuchen mit einem Löffel Eiscreme darauf, die zu einem weichen Brei zerfloß. Er saß an einem Ecktisch, sah Leute kommen und gehen, dachte daran, daß jemand kommen könnte, den er kannte. Irgendwie hoffte er, daß dies geschähe. Es würden Fragen gestellt werden -- Wo ist Rachel, was machen Sie hier, wie geht es Ihnen? --, und vielleicht würden die Fragen Komplikationen mit sich bringen, und vielleicht waren Komplikationen genau das, was er sich im Grunde wünschte. Einen Ausweg.
Tatsächlich kam, als er gerade mit seinem Apfelkuchen und seiner zweiten Tasse Kaffee fertig war, ein Paar herein, das er kannte: Rob Grinnell, ein in Bangor ansässiger Arzt, mit seiner hübschen Frau Barbara. Er wartete darauf, daß sie ihn an seinem Ecktisch sähen, aber die Empfangsdame führte sie zu einer Nische am entgegengesetzten Ende des Speiseraums, und Louis verlor sie aus den Augen; nur gelegentlich erhaschte er einen Blick auf Grinnells vorzeitig ergrauendes Haar.
Die Kellnerin kam mit der Rechnung. Louis zeichnete sie ab, setzte seine Zimmernummer unter die Unterschrift und ging durch den Seiteneingang hinaus.
Draußen hatte sich der Wind fast zum Sturm gesteigert. Er machte sich als stetiges Brausen bemerkbar, das die Drähte der Hochspannungsleitungen merkwürdig summen ließ. Er konnte keine Sterne sehen, hatte aber den Eindruck, als jagten Wolken mit großer Geschwindigkeit über ihn hinweg. Er blieb einen Augenblick auf dem Gehsteig stehen, die Hände in den Taschen, das Gesicht in den Wind erhoben. Dann machte er kehrt, ging in sein Zimmer und schaltete das Fernsehgerät ein. Um etwas Ernsthaftes zu unternehmen, war es noch zu früh, und dieser Nachtwind enthielt zu viele Möglichkeiten. Er machte ihn nervös.
Er saß vier Stunden vor dem Fernseher und sah hintereinander acht Halbstundensendungen. Ihm fiel ein, daß es sehr lange her war, seit er das letzte Mal so lange ununterbrochen vor dem Fernseher gesessen hatte. Er fand, daß alle weiblichen Hauptdarsteller in den Situationskomödien das waren, was er und seine Freunde in der High School »scharfe Miezen« genannt hatten.
In Chicago jammerte Dory Goldman: »Zurückfliegen! Aber Liebling, warum willst du denn zurückfliegen! Du bist doch gerade erst angekommen!«
In Ludlow saß Jud Crandall an seinem Erkerfenster, rauchte, trank Bier, blätterte regungslos im geistigen Notizbuch seiner Vergangenheit und wartete darauf, daß Louis nach Hause käme. Früher oder später würde Louis nach Hause kommen, wie der treue Hund Lassie in der alten Fernsehserie. Es gab zwar noch andere Wege zum Tierfriedhof, aber Louis kannte sie nicht. Wenn er es tun wollte, dann fing der Weg vor seiner eigenen Haustür an.
Ohne die geringste Ahnung von diesen Vorgängen, die wie langsam fliegende Geschosse nicht auf den Ort zielten, an dem er sich befand, sondern in bester ballistischer Tradition auf den Ort, den er erreichen würde, saß Louis vor dem Farbfernseher des Motels. Bisher hatte er diese Sendungen noch nie gesehen, sondern nur von ihnen reden hören: eine schwarze Familie, eine weiße Familie, ein Kind, das intelligenter war als die reichen Erwachsenen, bei denen es lebte,
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