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Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Miller
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rührt sich nicht. Er wartet, eine Silhouette vor dem zunehmendem Licht. Als der Schuss fällt, klingt es zugleich laut und gedämpft, ein Geräusch, als wäre in einer der Krypten ein großer Hammer mit steinernem Kopf gegen die Abdeckplatten geschlagen worden. Echo, Widerhall, Stille.
    Er tritt vor. »Lecoeur?« ruft er. »Lecoeur?« Er rechnet nicht mit einer Antwort.

13
     
    ZWISCHE N ACH T UN D neun Uhr morgens verwandelt ein nicht enden wollender Regenguss das Feuer am Predigerkreuz in einen Haufen schwelender schwarzer Balken wie die Ruine einer abgebrannten kleinen Hütte. Die Männer bleiben in ihren Zelten. Es gibt Brot zu essen, aber sonst nichts, nichts Warmes, bis Jean-Baptiste und Armand am späten Nachmittag zwei große Kannen Kaffee kochen, einen kräftigen Schuss Schnaps zugeben und sie über das nasse Gras tragen.
    Eine merkwürdige Schläfrigkeit hat sich über den Friedhof gesenkt. Niemand kann sich vorstellen, dass gearbeitet wird. Heute nicht und morgen vielleicht auch nicht. Und übermorgen? Und am Tag danach?
    Guillotin (der sich zur großen Belustigung seiner Kollegen selbst den Titel »Arzt im Friedhof der Unschuldigen« verliehen hat) untersucht Jeanne, der man es in dem Zimmer im ersten Stock im Bett ihres Großvaters so bequem wie möglich gemacht hat. Als er herunterkommt – man hört zuerst seine Schritte auf dem nackten Holz der Treppe, schwer und ohne Hast –, sagt er ihnen, die einzige unmittelbare Gefahr drohe von den Gemütsbewegungen des Mädchens, von der Morbidität, welche die unvermeidliche Folge einer solchen Tortur sei. Kummer, Schrecken. Der Verlust der Jungfernschaft unter derart traurigen Umständen. Und so weiter. Die Wunden, die ihr Körper davongetragen habe, seien nicht tödlich. Eine eventuelle Fraktur des linken Jochbeins, Verletzungen am weichen Gewebe ihres Mundes – Lippen, Zunge, Zahnfleisch etc. Quetschungen – ausgedehnte – an beiden Armen und großen Teilen des Rumpfes …
    »Sie ist jung; sie ist zäh. Sie, mein lieber Ingenieur, könnten überzeugend mit ihr fühlen, allerdings wohl noch nicht gleich. Es dürfte eine Weile dauern, bis sie die Gesellschaft von Männern wieder als angenehm empfindet. Kann Madame Saget bei ihr bleiben?«
    »Es wird ihr Wunsch sein«, sagt Armand.
    »Gut. Was die Frage angeht, ob die Sache irgendwelche Weiterungen hat, irgendwelche … Nun ja, wir wollen hoffen, dass es nicht so ist.« Er lächelt den Küster freundlich an, der am kalten Kamin sitzt und dem nicht anzusehen ist, ob er das Gesagte wirklich aufgenommen hat. »Ein wenig Zeit, Monsieur. Die Zeit heilt alle Wunden. Sie haben Ihre Jeanne nicht verloren.«
    Der Ingenieur begleitet Guillotin zur Werkstatt. Lecoeur liegt auf dem Tisch, der dem Eingang am nächsten ist.
    »Er war nicht unsympathisch«, sagt Guillotin und geht leicht in die Knie, um in Lecoeurs Kopf zu spähen. »Und er hatte wenigstens soviel Anstand, sich selbst das Lebenslicht auszublasen.«
    »Ich habe mich in ihm getäuscht«, sagt Jean-Baptiste.
    »Getäuscht? Vielleicht. Doch ein Mensch kann durchaus mehrere Seiten haben. Er war kein geifernder Kretin aus der Salpêtrière. Er war gewissenhaft, belesen. Höflich.«
    »Wenn ich weniger unaufmerksam gewesen wäre. Oder öfter mit ihm zusammengewesen wäre. Außerhalb von hier, meine ich.«
    »Ah, Sie glauben also, der Friedhof ist schuld daran? Lecoeur habe zu viele düstere Szenen miterlebt?«
    »Das ist doch möglich, oder nicht?«
    »Er sei davon vergiftet worden?«
    »Ja.«
    »Und dadurch sei irgendeine kriminelle Schwäche zutage getreten.«
    »Ja.«
    »Er hat mir erzählt, Sie hätten einmal eine imaginäre Stadt miteinander geplant. Ein Utopia.«
    »Ja, als wir in den Bergwerken gearbeitet haben.«
    »Und wie hieß sie? Ihre Stadt?«
    »Valenciana.«
    »Nach Valenciennes?«
    »Es war … ein Spiel«, sagt Jean-Baptiste.
    »Sie waren Idealisten. Träumer.«
    »Wir waren jung.«
    »Natürlich. Und aufgeweckte junge Männer spielen gern solche Spiele. Inzwischen sind Sie von diesem Laster frei, nehme ich an?« Er blickt auf, grinst, tritt dann an den anderen Tisch, nimmt den Deckel vom Sarg ab. »Arme Charlotte«, sagt er. »Diese Post-mortem-Abenteuer haben ihr nicht gutgetan. Sie sagen, Sie haben Sie selbst zurückgetragen?«
    »Ja.«
    »Man darf vermuten, dass er Jeanne attackiert hat, nachdem ihm klargeworden war, dass Charlotte seinen Zwecken nicht dienlich sein konnte.« Er legt den Deckel wieder auf, tippt ihn nachdenklich mit dem

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