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Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Miller
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Saint-Séverin oder Saint-Gervais beispielsweise. Dann, kurz nach drei Uhr, werden zwei Särge herausgehoben und nebeneinander ins feuchte Gras gestellt. Rein äußerlich unterscheidet sie nichts von den vierzig anderen, die sie seit dem Mittagessen herausgehoben haben. Das Holz ist vielleicht ein bisschen weniger verrottet, aber man hat wirklich keine Zeit für eine genauere Inaugenscheinnahme zu verschwenden. Zwei der Bergleute setzen ihren Spaten an die Deckel an. Inzwischen sind fast alle Männer sehr geschickt darin und hebeln Särge auf wie Austern. Dann taumeln sie zurück. Einer lässt seinen Spaten fallen, der geräuschlos auf dem feuchten Boden landet. In jedem Sarg liegt eine junge Frau. Haut, Haare, Lippen, Fingernägel, Augenwimpern . Alles ist noch da, selbst die wollenen Leichentücher, in die sie eingehüllt sind und die so aussehen, als müssten sie nur gewaschen und da und dort gestopft werden, um wieder wie neu zu erscheinen.
    Mehrere Sekunden lang rührt sich niemand. Regen fällt auf die Gesichter der Toten. Dann knien sich die Ärzte hin und schützen sie mit ihren Schirmen, Angler, die plötzlich zu Freiern geworden sind. Sie nehmen ihre einleitenden Untersuchungen vor. Thouret berührt das heufarbene Haar der einen; Guillotin verschiebt mit der Spitze eines Metallstifts, den er mit sich führt – vielleicht ein silberner Zahnstocher –, sanft die Lippen der anderen. Sie beraten sich. Guillotin befiehlt, die Särge sofort zu verschließen und in die Werkstatt zu schaffen.
    »Eine Form von Mumifizierung«, sagt er zu Jean-Baptiste. »Ein bemerkenswertes Phänomen. Bemerkenswert! Wie ein Paar getrocknete Blumen …«
    Man verwendet Manettis Handkarren. Die Ärzte gehen zu beiden Seiten des Karrens und eskortieren die Särge auf ihrer Fahrt in Richtung Kirche, zur Werkstatt. Alle Arbeit ist zum Erliegen gekommen. Die Männer stopfen sich ihre Pfeifen. Es ist still an diesem Nachmittag, alles ist vom Regen gedämpft. Sollte man nun, da der Tod fast genauso aussah wie das Leben, nicht irgendeine Zeremonie abhalten, um dem Augenblick Würde zu verleihen? Sollte man nicht Père Colbert aus der Kirche holen, damit er ein Gebet spricht, Weihwasser aussprengt? Aber Colbert würde, wenn man ihn denn fände, nur wie ein von Zahnschmerzen geplagter Johannes der Täufer unter sie fahren. Höchstwahrscheinlich würde er jemanden in die Grube werfen – den jungen Ingenieur beispielsweise.
    Lecoeur, dem der Regen von der Hutkrempe tropft, sieht Jean-Baptiste an. Jean-Baptiste nickt. Lecoeur gibt den Befehl weiterzumachen, bellt ihn regelrecht. Ohne zu murren, gehorchen die Männer.
     
    Nach Einbruch der Dunkelheit werden Armand, Lecoeur und Jean-Baptiste von Guillotin eingeladen, sich die konservierten Frauen anzusehen oder vielmehr eine davon, denn die andere ist bereits von den Ärzten untersucht worden und demzufolge weniger ansehnlich. Lecoeur hat eine Kerze, Guillotin eine Lampe mit rauchlos brennendem Waltran. Der Sarg steht auf einem Tisch mit Böcken in dem Zelt, das als Werkstatt dient. Sie nehmen den Deckel ab und betrachten sie.
    »Ich habe sie Charlotte getauft«, sagt Dr. Guillotin, »nach einer Nichte von mir in Lyon, der sie, glaube ich, im Leben geähnelt haben könnte.«
    »Sie ist jung«, sagt Armand, der die Stimme wie der Doktor bis fast zu einem Flüstern gedämpft hat.
    »Jung und zugleich alt«, sagt der Arzt. »Ich schätze, dass sie um das zwanzigste Lebensjahr herum gestorben ist und vor etwa fünfzig Jahren der Erde anvertraut wurde. Unser guter Küster behauptet, sich an die Beerdigung zweier junger Frauen etwa zur Zeit seiner Einstellung hier zu erinnern. Ein Paar Lokalschönheiten, unverheiratet. Offenbar Anlass zu großer öffentlicher Beweinung.«
    »Dann sind sie als Jungfrauen gestorben«, sagt Lecoeur mit so etwas wie Ehrfurcht in der Stimme.
    »Nur wenige Lokalschönheiten sterben als Jungfrauen«, sagt Armand.
    »Vielleicht stimmt das«, sagt der Doktor. »Ich habe noch nicht festgestellt, ob sie intacta ist. Aber was die andere angeht, so glauben Dr. Thouret und ich Anzeichen dafür zu erkennen, dass sie empfangen hat.«
    »Sie hat ein Kind erwartet?« fragt Jean-Baptiste.
    »Mit Sicherheit kann ich das nicht sagen. Die inneren Organe haben die Konsistenz von Zellstoff oder Pappmache angenommen. Es gab jedoch Hinweise.«
    »Was werden Sie mit ihr machen?« fragt Armand. »Mit Ihrer Charlotte? Sie aufschneiden wie die andere?«
    »Ich glaube«, sagt Dr. Guillotin, »ich

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